Beitrag zur Beschneidungsdebatte

Eigentlich wollte ich zur Beschneidungsdebatte keinen Artikel schreiben. Arprin und Aron Sperber haben eigentlich schon alle wesentlichen Punkte genannt.

Nun schreibe ich allerdings doch auch ein paar Sätze auf diesen Blog. Erstens gibt es ein paar neue Entwicklungen und zweitens ist der ärztliche Hintergrund vielleicht doch ganz interessant. Als Laie macht man sich darüber vielleicht keine großen Gedanken, aber jeder „Eingriff“ am Patienten ohne Eigenwilligung ist formal eine Körperverletzung. Das gilt nicht nur für Ärzte, das gilt zum Beispiel auch für Barbiere. Der Kunde geht zum Friseur, willigt ein, dass seine Haare geschnitten werden und nur deshalb darf sie der Friseur auch schneiden.


 
Einwilligung plus rationale Indikation
Wie ist es nun bei kleinen Kindern? Kleine Kinder können bekanntlich nicht einwilligen. Bei kleinen Kindern willigen die Eltern ein. Das alleine reicht aber nicht aus. Ein Elternteil kann zum Beispiel nicht einfach sein Kind am ganzen Körper tätowieren lassen, ich denke das leuchtet jedem ein. Bei Eingriffen an kleinen Kindern ist deshalb noch der essentielle Faktor der Aufklärung von Nöten, um einen Eingriff zu rechtfertigen: Die Ratio. Für den Eingriff müssen rationale Gründe bestehen. Im Bereich der ärztlichen Kunst spricht man von medizinischer Indikation.

Eine religiöse Motivation ist kein rationaler Grund für eine medizinische Operation. In zehntausend Jahren nicht. Auch dann nicht, wenn die Tradition schon fast genauso alt ist. Es ist ja gerade der Sinn der Aufklärung althergebrachte Traditionen kritisch zu hinterfragen und für den Alltag Gesetze zu erlassen, die alle Menschen rechtlich auf die gleiche Stufe stellen. Sondergesetze für bestimmte Gruppen darf es in einem aufgeklärten Staat nicht geben. Auch nicht aus religiösen Gründen.

Teile von Achgut sind anderer Meinung
Arprin, Aron Sperber und ich dachten bisher eigentlich dies sei zum Beispiel auch für die Achse des Guten selbstverständlich. Dies scheint nicht der Fall zu sein, wenn man sich einige Beiträge dort ansieht. Henryk M. Broder will ich von dieser Kritik ausnehmen. Seine Beiträge zum Thema sind nachvollziehbar und vor allem wie immer wunderbar unterhaltsam. Und dass Hannes Stein in der Regel anti-aufklärerisch und nicht wirklich überzeugend argumentiert, dass weiß man schon mindestens seit der Schächtendebatte, der Befürwortung der 9-11-Moschee, dem Hoch-die-Scharia-Artikel und so weiter. Im Grunde also nichts Neues. Hannes Stein glaubt ja ganz im Ernst, dass er noch miterlebt, „wie in San Francisco eine Moschee für schwule und lesbische Beter ihre Tore öffnet.“ Siehe vorletzter Satz dieses berühmt-berüchtigten Artikels. Der Mann ist nicht einmal selbst bereit Beschneidungen und Schächtungen zu hinterfragen, aber trotzdem ist er sich ganz sicher, dass wirklich Gläubige demnächst die erste Moschee für schwule Muslime eröffnen. Ein bemerkenswerter Optimismus.

Viel Wind um nichts
Die Aufregung in der jüdischen und islamischen Community ist nun bekanntlich sehr groß. Man könnte auch sagen hysterisch. Es ist wie immer im Mediengeschäft: Vierzehn Tage Geschrei um nichts, bis man die nächste Sau durchs Dorf treiben kann. Ich falle auf diesen Unsinn schon lange nicht mehr herein. Man muss sich mal die Kakophonie durchlesen, die zum Beispiel die FAZ gesammelt hat. Westerwelle, Gabriel, Künast, Erzbischof Marx und Dieter Graumann. Jeder darf einmal kräftig furzen und im Grunde sagen alle das gleiche. Man kennt das in Deutschland langsam nur zu gut. Warum eigentlich so viele Parteien? Eine würde völlig ausreichen.

Auch Merkel lässt über ihren Sprecher verlauten man werde nun schnellstmöglich an einem Gesetz arbeiten, dass Beschneidungen aus religiösen Gründen offiziell und staatlich absegnen soll. Wie das Gesetz aussehen soll, ohne die moderne Rechtspraxis auf den Kopf zu stellen, interessiert die Politiker nicht wirklich. Wir werden sehen was am Ende herauskommt, wenn sich die Hysterie wieder legt. Wahrscheinlich wie immer nichts.

Die Einheitspartei der Clowns schlägt wieder zu
Laut diversen Medien meint Merkel heute, Deutschland mache sich mit einem Beschneidungsverbot zur „Komiker-Nation“. Das ist schon lustig. Bisher dachte man Deutschland sei aufgrund der Merkel’schen Energiewende- und Eurowendehals-Politik eine Komiker-Nation. Seit heute wissen wir: Das Einzelfall-Urteil zu den Beschneidungen soll der wahre Grund sein.

Jörg Lau ist wie immer ganz begeistert über so viel Einigkeit. Nur die Muslime hätte man noch einmal extra erwähnen müssen, meint er. Fies.

Am Freitag soll es laut Focus die erste „Resolution“ geben. Resolutionen sind toll. Verabschiedet wird das ganze durch die grün-gelb-schwarz-rote Einheitspartei. Eine Einheitspartei die auch bei den Themen Euro und Europa keine Alternativen anbietet. Und da wundert man sich in Deutschland über Politikverdrossenheit? Im Ernst?!

Ist Beschneidung damit verboten?
Natürlich nicht. Die Beschneidung aus medizinischen Gründen ist ja weiterhin erlaubt. Nicht geschützt ist dagegen die Beschneidung aus religiösen Gründen. Die Gründe dafür sind klar. Ein Staat, der sich für aufgeklärt und säkular hält, darf religiös motivierte Eingriffe nicht unterstützen. Jedenfalls nicht offiziell.

Hat sich wirklich etwas geändert?
Im Grunde ist das, was dieses deutsche Gericht hat durchblicken lassen, unter Ärzten schon länger bekannt und Konsens. Stichwort Einwilligung und medizinische Indikation. Auch in Amerika ist es nicht so viel anders. Hannes Stein verbreitet mir beim Thema Amerika leider zu oft Legenden. In Amerika ist es schlichtweg so, dass gläubige Ärzte seit den 1950ern gezielt versuchen medizinische Gründe für eine Beschneidung zu finden. Warum macht man das in Amerika so angestrengt? Die Antwort ist aus meiner Sicht recht eindeutig. Man hat ein schlechtes Gewissen. Diese Menschen sehen durchaus ein, dass rein religiöse Gründe für eine Beschneidung nicht ausreichen. Deshalb versucht ihre rationale Hälfte rationale Gründe für ihre Tradition aufzutreiben.

Man kann dieses Schema in der „Wissenschaft“ oft beobachten. Es gibt hunderte Studien, die erklären sollen, warum es durchaus sinnvoll ist, wenn man keine Tiere mit gespaltenen Hufen isst. Warum man keine Schweine essen soll. Warum man Tiere nicht in ihrer Milch kochen soll. Warum man fünf Mal am Tag beten soll. Warum Fasten gesund ist. Warum Verbrennen am besten ist. Oder doch der Holzsarg. Oder doch nur im Tuch stehend. Warum es gut ist, wenn man sich einen Sprengstoffgürtel umschnallt und die Beerdigung damit überflüssig macht. Für alles finden Menschen „Begründungen“, wenn sie wollen.

Dass diese Herangehensweise wissenschaftlich hochgradig fragwürdig ist, muss ich nicht betonen. Diese „Forscher“ gehen mit der Motivation an die Sache heran, eine rationale Begründung für ihre Religion zu finden. Nichts anderes machen bekanntlich auch „Forscher“, die modernen Religionen wie dem Ökologismus anhängen. Sie sind dem Ergebnis gegenüber nicht offen. Es steht schon vorher fest, was hinterher herauskommen soll. Das ist ein ganz klarer Bias, der die Studien wertlos macht.

„Studien“ dieser Art werden bei kritischen Nachuntersuchungen widerlegt. In der Regel sind Nachstudien gar nicht nötig, denn man sieht schon am Design dieser Studien, dass diese Art von „Forschung“ für den Papierkorb ist. Aufgrund dieser „Studien“ und dem Willen des Menschen rationale Gründe für seinen Voodoo zu finden, hat sich der Mythos in Amerika gehalten, Beschneidungen seien medizinisch sinnvoll. Religiöse Motivationen sind einfach sehr stark und es ist schwer ihnen beizukommen. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass sich der Staat neutral verhält und religiöse Mythen nicht auch noch gesetzlich festschreibt und legitimiert.

Ist die religiöse Beschneidung damit unmöglich?
Natürlich nicht und auch deshalb ist die Hysterie von Graumann und Co so lächerlich. Es wird immer Ärzte geben, die religiöse Beschneidungen durchführen. Ich selbst würde es auch machen, wenn ich es könnte. „Medizinische Indikationen“ finden sich immer. Nicht anders funktioniert in vielen westlichen Staaten die Abtreibung.

Es ist aus diversen Gründen verständlich, dass Staaten Abtreibungen nicht offiziell „fördern“. Alleine schon um die ganzen Konservativen und Gutmenschen zu beruhigen. So hat Deutschland zum Beispiel ein relativ strenges Abtreibungsgesetz. Viele deutsche Amerika-Hasser wissen das nicht. Im Vergleich zu den deutschen Abtreibungsgesetzen sind die Regelungen in vielen amerikanischen Bundesstaaten sehr liberal. Trotzdem lassen es sich viele Deutsche natürlich nicht nehmen über amerikanische Abtreibungsgegner abzulästern. Ahnungslosigkeit trifft Antiamerikanismus.

Die möglichen Komplikationen der Beschneidung
Die FAS macht in ihrer gestrigen Ausgabe mit dem Beschneidungfall des Kölner Landgerichtes auf. Man erfährt dort Neuigkeiten, die bisher in der Debatte verschwiegen wurden. Der Artikel schein noch nicht online zu sein, deshalb erzähle ich ihn:

Der vier Jahre alte Junge hatte unter seltenen, aber nicht untypischen Komplikationen der Beschneidung zu leiden. Es blutete stark nach. Der Junge wurde deshalb in die Notaufnahme einer Kölner Klinik gebracht. Dort musste er unter Vollnarkose operiert werden, um die Blutungen zu stoppen. Man spricht von „Revision“. Was das jetzt für den Penis des Jungen bedeuten kann, darüber lasse ich mich nicht weiter aus. Das kann man auch nicht wissen. Es kann alles gut verheilen, es können aber auch lebenslange Folgeschäden bleiben. Narben sind Narben, das müsste auch Laien klar sein. Was viele nicht wissen: Narben sind nicht „nur“ ein optisches Problem. Narbengewebe ist nicht identisch zu normalem Gewebe. Es bedeutet immer auch Funktionsverlust. Wenn man Pech hat, Taubheit, Schmerzen und so weiter. Auch die Verbandswechsel mussten laut FAS noch drei Mal in Narkose durchgeführt werden. Das ist nicht untypisch bei kleinen Kindern. Kleine Kinder halten nicht still, deshalb versetzt man sie in Narkose. Dass Narkosen immer ein gewisses, potentiell sogar tödliches Risiko bedeuten, ist jedem klar. Insgesamt zehn Tage war der Junge im Krankenhaus.

Nur „Beschneider“ glauben irgendwie immer, dass sie Kinder ohne Narkose beschneiden können. Das kann ich natürlich auch. In Sekundenbruchteilen einem schreienden, zappelnden Kind, die Vorhaut abschneiden. Das macht Spaß. Es gibt dann eben Kinder wie der kleine Junge in unserem Fall, die man danach noch vier Mal in Narkose versetzen muss, um die erste Beschneidung wieder halbwegs geradezubiegen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und das alles, weil es diverse Religionen so „verlangen“. Demnächst offiziell erlaubt durch ein deutsches Gesetz. Und warum? Damit alle Welt zur Überzeugung gelangt, die Merkel’sche Regierung bestünde nicht aus Clowns, Hampelmännern und Witzfiguren? Eine bestechende Logik. Ihre undurchdachten Aktionen auf allen Feldern beweisen doch genau das.

Mädchenbeschneidungen
Ein Aspekt, der mich in der Beschneidungsdebatte fasziniert, ist das Thema Mädchenbeschneidung. Ein Typ der Mädchenbeschneidung funktioniert so, dass man nur die Vorhaut der Klitoris entfernt. Die Klitoris entspricht embryologisch und sogar funktionell ziemlich genau dem Penis. Man entfernt bei diesem Typ der Beschneidung genaugenommen nichts weiter als das exakte Gegenstück der männlichen Vorhaut.

Trotzdem sind praktisch alle westlichen Beschneidungsbefürworter dagegen. Wieso? Wenn diese Leute ehrlich argumentieren würden, müssten sie zumindest auch diesen „harmlosen“ Typ der Mädchenbeschneidung erlauben. Ich bin sicher auch dafür würde man medizinische Vorteile an den Haaren herbeiziehen können. Man müsste sich dann an dieser Stelle auch nicht so oft waschen oder so ähnlich. Mädchenbeschneidung ist auch eine Vorbeugung gegen Krebs und Infektionen, wenn man demnächst mal wieder jahrelang als Nomade durch die Wüste zieht und sich da unten nicht waschen kann. Für Ali und Aishe H. aus Wanne-Eickel sicherlich ein sehr realistisches Szenario.

Es ist doch so: Den Befürwortern fehlt bei Mädchen plötzlich die skurile Fantasie und die Motivation, weil ihnen ihre Interpretations-Zweigstelle des Judentums und des Islam zufälligerweise eben keine Mädchenbeschneidung vorschreibt. Wäre es anders, dürfte man sich anhören, warum auch Mädchen unbedingt beschnitten gehören. Ähnliches kann man übrigens auch bei den Richtern vermuten. Wären Beschneidungen auch eine verbreitete christliche Tradition, wären sie vielleicht nicht einmal auf die Idee gekommen dieses Ritual zu hinterfragen.

Meine deutsche „Lieblingsministerin“ Leutheusser-Schnarrenberger hat das Problem laut Spiegel schon erkannt: Man könne nicht einfach pauschal sagen, jeder religiös motivierte Eingriff sei immer erlaubt. Eine Neuregelung könne Auswirkungen haben, die so nicht gewollt seien. Niemand würde zum Beispiel Beschneidungen von Mädchen unterstützen.

Diese Bedenken sind berechtigt. Wenn Jungen in den Genuss kommen ihre Vorhaut abzugeben, sollte man Mädchen den gleichen Genuss nicht verwehren. Ich will das deutsche Gesetz sehen, dass die männliche Vorhaut zum Abschneiden frei gibt, die weibliche Vorhaut aber schützt. Good luck with that.

Die Zeugen Jehovas
Ein Interesse an „religiösen Indikationen“ für medizinische Eingriffe hätten sicher auch die Zeugen Jehovas. Diese christliche Zweigstelle lehnt bekanntlich Bluttransfusionen ab. Es ist in der Praxis bei strengen Zeugen nun in der Tat so, dass diese Menschen verlangen, dass man auch bei Eingriffen an ihren Kindern garantiert auf Blutprodukte verzichtet. Und wenn das Kind daran stirbt. Ich bin kein Moralapostel und ich kenne durchaus Ärzte, die bereit sind dieses Risiko einzugehen. Es ist auch nicht so, dass dies dank des medizinischen Fortschrittes ein Ding der Unmöglichkeit ist. Es gibt künstliche Blut-Ersatzprodukte die man guten Gewissens bis zu einem gewissen Grad einsetzen kann. Ab einem gewissen Blutverlust allerdings, hätte der Körper dann doch lieber wieder echtes Blut, sonst segnet er das Zeitliche.

Wenn dieser Grad in der OP erreicht wird, hat der Arzt zwei Möglichkeiten: Entweder er widersetzt sich dem Willen der Eltern und rettet die Gesundheit des Kindes oder er geht weiter volles Risiko, um die religiösen Gefühle der Eltern nicht zu verletzen. Den Weg der Eltern kann der Arzt gehen, keine Frage. Es ist aber dann selbstverständlich und müsste eigentlich jedem einleuchten, dass im Falle von Komplikationen der Arzt zivil- und strafrechtlich voll haftet.

Beschneidung und Masturbation
Schon im Februar 2011 brachte die FAZ einen sehr guten Artikel zum Thema Beschneidung. Darin wird ein weiterer Grund für den amerikanischen Beschneidungswahn erklärt, der in der Debatte verschwiegen wird. Mir war das bisher im Detail so nicht bekannt, aber ich lerne immer gerne dazu:

[Es] lohnt es sich, die Ursprünge der amerikanischen Beschneidungspraxis zu betrachten. Die liegen nämlich in einer verknoteten Sexualmoral, zu deren eifrigsten Propagandisten im 19. Jahrhundert der Erfinder der Cornflakes, John Harvey Kellogg, zählte. Für Kellogg war die Beschneidung von Knaben ein Mittel gegen Masturbation. Die Operation sollte ohne Betäubung vorgenommen werden, „weil der kurze Schmerz einen heilsamen Effekt hat“. Und auch Mädchen nahm er nicht aus: „Bei Mädchen ist die Behandlung der Klitoris mit unverdünnter Karbolsäure hervorragend geeignet, die unnatürliche Erregung zu mindern.“

Beschneidung als Gegenstück zu Individualismus und Aufklärung
Auch Necla Kelek kommt im FAZ-Artikel zu Wort und erklärt mit ihren starken Worten, warum Beschneidung der natürliche Feind der Aufklärung ist. Warum er Gewalt und Unterordnung fördert, autoritäre Herrschaft und eine sich abschließende, chauvinistische Gemeinschaft der Umma, die eigentlich nur als Gegner der westlichen Aufklärung verstanden werden kann:

In den Augen Frau Keleks hat die Beschneidung schlimme Folgen: Sie nimmt den Jungen die Freiheit und zeigt ihnen, dass sie nichts sind ohne die Gemeinschaft. Und in dieser Gemeinschaft stehen sie auf der untersten Stufe, müssen von nun an gehorchen und den Älteren dienen. „Die Beschneidung reproduziert eine autoritäre Gesellschaft, weil durch das Opfer der Vorhaut die Unterwerfung symbolisch wie materiell manifestiert wird.“
[…]
Machokult, Gewaltbereitschaft, Frauenhass: für Frau Kelek alles auch Folgen dieses „archaischen Rituals“. Und die soziale Abgrenzung. „Türkische Jungs und Mädchen werden immer mit Abscheu über eine vorhandene Vorhaut sprechen“, sagt sie. Für sie ist es ein Ausweis des Unglaubens, der Unreinheit. Sie warnt: Kinder, die in Kategorien der Abgrenzung dächten, seien für die Werte einer freiheitlichen Gesellschaft schwerlich zu gewinnen.

„Bisher hat sich noch kein Beschnittener über Beschneidung beschwert!“
Auch mit diesem unfreiwillig komischen, weil offensichtlich absurden Argument der Beschneidungsbefürworter, räumt der FAZ-Artikel aus dem Jahr 2011 auf. Der Grünen-Politiker Jerzy Montag meint im FAZ-Artikel ernsthaft: „Noch nie habe sich ein beschnittener Mann an ihn gewendet, weil ihm Unrecht widerfahren sei.“ Dass es diese Menschen natürlich gibt, sagt einem schon der gesunde Menschenverstand. Die FAZ reißt im Artikel diese Fälle an und stellt sie Montag entgegen.

Auch Spiegel-Journalist Hasnain Kazim berichtet nun aktuell über seine Beschneidung. Der Titel des Artikels lautet: „Der demütigendste Moment meines Lebens“. Kazim endet allerdings vorhersehbar milde. Auch er sucht sich interessanterweise seine „rationalen“ Gründe für ein irrationales Ritual zusammen und lässt seine Mutter sagen: „Wir haben es getan, weil der Arzt uns dazu aus medizinischen Gründen geraten hat. Mit Religion hatte das nichts zu tun.“

Im Grunde ist damit schon viel erreicht. Eine Diskussion und Reflektion über Beschneidung und Religion an sich. Ein Herantasten an die Frage, was dieses Ritual in der heutigen Zeit eigentlich noch für einen Sinn ergibt. Eine Klärung der Frage, warum man eigentlich so erpicht auf eine religiöse Tradition ist, wenn sie einem letztendlich selbst so peinlich ist, dass man immer wieder medizinische Scheinbegründungen vorschiebt.

Nachtrag zu Hannes Stein
Sein aktueller Kommentar zum Antisemitismus der Aufklärung ist der erste Beitrag von Hannes Stein nach einer ganzen Weile, der mir wirklich gefallen hat. Der beste Artikel von ihm, den ich kenne. So kann ich seine Ansichten zum Thema Beschneidung und Schächten auch wirklich einmal nachvollziehen.

Nachtrag FAS-Artikel
Kewil von Pi hat einen FAS-Artikel des Sonntages schon gefunden. Ich meinte den Leitartikel. Aber Kewils Fundstück ist mindestens genauso gut, denn er ist noch genauer als der Leitartikel. Auch zu den Ex-Muslimen hat Pi gut recherchiert.

29 Gedanken zu „Beitrag zur Beschneidungsdebatte

    • Ich bin was Abtreibung angeht sehr liberal. Ich finde die Regelung in Deutschland interessant, dass man zwar rein vom Gesetzestext ein recht strenges Abtreibungsgesetz hat, man aber in der Praxis bis wirklich ganz zum Schluss „aus medizinischen Gründen“ (Augenzwinker) abtreiben darf. Das passt sehr gut mit meinen libertären Ansichten zusammen. So sollte man es auch bei der Beschneidung handhaben und so wird es ja an sich schon gehandhabt.

      Warum Sie „im Unernst“ schreiben, das verstehe ich jetzt nicht wirklich. Ist das doppelte Verneinung? Ironie? I don’t get it. Sie distanzieren sich von ihrem eigenen Argument?

  1. Ja wenn die Merkel keine anderen Sorgen hat (siehe Jörg Lau) dann ist ja alles in Butter.

    Gibt es eigentlich in den USA eine ähnliche Debatte (auf Kongressebene, betr. irgendwelcher Gesetze)?
    Ein bisschen Pornofolklore noch: Manche Leute sagen ja dieser Beschneidungs“wahn“ in den USA früher wurde durch das Argument dass beschnittene Männer schlechter masturbieren können, ausgelöst.

  2. Ich stimme Dir absolut zu.

    Allerdings ist die Bundesrepublik Deutschland kein „Staat, der sich aufgeklärt und säkular nennt“. Nach dem Grundgesetz ist Deutschland kein säkularer Staat. Ganz im Gegentum: Zum Beispiel in Art. 4 und 7 GG werden Religionen und deren Angehörigen bestimmte Sonderrechte eingeräumt, und Art. 140 GG übernimmt das Staatskirchenrecht aus der Weimarer Verfassung.

    Wie gesagt bin ich wie Du der Meinung, daß dies nicht so sein sollte. Aber damit sich unsere Meinung vollkommen durchsetzt, brauchen wir gegebenenfalls eine Verfassungsänderung, die den Sonderstatus der Religionsgemeinschaften und der Religionsausübung aufgibt. Zeit dafür wäre es, und Argumente dafür gibt es viel mehr als nur Beschneidungen.

    • Das finde ich gut, dass wir da mal einer Meinung sind. Die Details der deutschen Verfassung kenne ich nicht. Ich kenne nicht einmal die amerikanische Verfassung im Detail. Danke für die interessanten Infos. Es ist schon lustig wie sich gerade linke und angebliche „progressive“ Parteien in diesen Fragen anstellen. Es geht eben auch um den Islam und beim Thema Islam ticken diese Menschen irgendwie immer komplett aus. Jetzt fehlt nur noch, dass der katholische Papst auch noch was zum Thema sagt. Dann marschieren Papst und Claudia Roth Hand in Hand. Das wäre doch mal ein Foto. Am besten mit Küsschen. Als Wähler einer dieser grün-gelb-schwarz-roten Parteien käme ich mir maximal auf den Arm genommen vor.

      Ich habe die Debatte zum Präimplantationsgesetz ziemlich genau verfolgt, weil es mich interessiert und weil es beruflich für mich relevant ist. In einem deutschen Magazin kamen Vertreter von fünf Parteien zu Wort: CSU, SPD, FDP, Grüne, Linke. Ich glaube alle waren aus einem Wahlkreis. Alle waren gegen die PID! Warum bitte sollte man bei so einer Meinungsvielfalt noch wählen gehen? Was wird eigentlich noch „gewählt“ in Deutschland?

      • Ja komisch ein Land das angeblich so säkular ist beruft sich auf die Schöpfung wenn es um die PID geht gleichzeitig aber hat es keine Probleme mit der Abtreibung.Ist schon schwer zu verstehen.Ich glaube dass hängt mit diesen Naturwahn zusammen,die Mutter Natur ist das neue goldene Kalb um das sie alle tanzen und Al Gore ist der Hohepriester

      • Die PID-Debatte in Deutschland verlief wie die Atomdebatte. Es werden von den Gegnern selten rationale Argumente dargebracht. Es geht gewissen Parteien in Deutschland einfach darum die Ängste der Deutschen maximal in Wählerstimmen ummünzen. Gerade die Grünen sind die Meister der Angst-Politik. Es geht rein nach Gefühlen, Esoterik und Voodoo. Den Grünen gelingt es sogar mit Hilfe der deutschen Medien diese Politik auch noch als aufklärerisch und progressiv zu verkaufen. Der Teufel hätte es nicht besser planen können. Und alle anderen Parteien ziehen im Prinzip nur mit. So war es jedenfalls in den letzten 20 Jahren. Was die Zukunft bringt, wird man sehen.

        Das mit der Natur als goldenem Kalb sehe ich genauso. Man hat sich zwar von den alten Religionen zum Teil gelöst. Außer es geht darum den Islam zu verteidigen. Und gleichzeitig hat man neue Religionen wie den Ökologismus wiederbelebt. Die Natur ist der neue Gott. Und alles was die Natur macht ist gut. Das habe ich auch einmal in diesem Kommentar deutlich gemacht.

      • Kann man in diesem Land überhaupt noch vernünftige Debatten führen?

      • Ich habe nicht das Gefühl. Aber konnte man das jemals? Im Grunde funktioniert Politik so schon immer, habe ich das Gefühl. Es wurde vielleicht sogar eher besser, wenn man mal guckt wie es in den 30s in Amerika abging. Oder noch früher. Von Deutschland fangen wir mal erst gar nicht an. Das ist in den 30s auch keine Meisterleistung in Sachen Debattenkultur.

        Vielleicht gab es in den 50s oder 60s mal eine Phase die besser war. Aber ich bin mir da nicht so sicher. Habe kürzlich mal Tonbänder von Ernst Bloch gehört. Oder Dutschke. Das war ja schlimm. In Amerika war es besser, wenn man sich MLK oder Eisenhower anhört. Adenauer war auch gut, fällt mir gerade auf.

  3. Auf Achse hab ich mal einen Artikel gelesen ich glaube auch von Stein wo er schrieb es ist ein barbarische Angewohnheit die Vorhaut dranzulassen und nicht abzuklemmen.Sein Argument neben den üblichen wie Hygiene und Krankheiten war dass die Vorhaut nur dafür da ist um die Eichel im Mutterleib zu schützen.Das habe ich noch nie gehört.Ich persönlich möchte noch nicht mal an die Schnibbelei denken aber für religiöse Menschen ist es ein Muss

    • Es stimmt, Hannes Stein reimt sich seine ganz eigene Welt zusammen.

      Zum anderen Punkt: Es war schon vieles in der Menschheitsgeschichte „ein Muss“. Tradition ist kein besonders überzeugendes Argument. Das hat schon Broder sehr schön ausgeführt. Finde den Artikel momentan leider nicht.

      • Ja aber Religion ist doch mehr als Tradition,oder? Zumindest für religiöse Menschen.Ich neige dazu den religiösen ihr Recht zu geben aber andererseits für jede Beschneidung die schiefgeht,die Konsequenzen sind doch zu schwer und wie Sie schreiben gibt es diese Komplikationen doch öfter als ich oder die Öffentlichkeit dachte

      • Ich sage ja auch lasst die Religiösen machen, wenn sie unbedingt wollen und meinen ihr Seelenheil hinge davon ab, ob sie eine Vorhaut haben oder nicht. Aber der Staat sollte diese Ansichten nicht aktiv fördern. Das macht er aber, wenn er religiöse Beschneidungen zur rationalen Normalität erklärt. Vielleicht deshalb hat es Irrationalität in vielen westlichen Staaten immer leichter. Kürzlich durfte ich in einem GEZ-Film bewundern wie toll doch die Segnungen der Homöopathie seien. Sogar Pflanzen würden nun schon bestens darauf ansprechen und machen chemische Stoffe überflüssig. Toll!

  4. Wieso Ärzte solche Operationen durchführen, die nur ein Risiko bedeuten und keinerlei medizinischen Nutzen bringen, war mir immer schon ein Rätsel. Das gilt sowohl für Beschneidungen als auch für Schönheitsoperationen, jedenfalls die, die aus reiner Eitelkeit geschehen (»Ich will aber dicke Möpse haben!«).

    • Für mich ist das kein Rätsel. Die entsprechenden Ärzte verdienen damit viel Geld. Ich habe damit ethisch auch kein Problem, wenn es sich um Erwachsene bzw. fast erwachsene Teenager handelt.

      Eine ehrliche Aufklärung ist wichtig. Und wenn die Patienten dann immer noch die OP wollen, dann darf man sie auch nicht mit Gesetzen davon abhalten. Nur bezahlen müssen sie es natürlich selbst.

      Auch der Begriff „Schönheits-OP“ ist so ein Ding. Darunter versteht jeder etwas anderes. Viele dieser Patienten leiden extrem unter ihrem Aussehen, das eigentlich der Norm entspricht. Das ist dann immer Ansichtssache, ob diesen Menschen jetzt eher ein paar Psychotherapien helfen oder doch die OP. Das sind oftmals auch ganz schwierige Patienten, die nie zufrieden sind. Das würde ich mir nicht antun.

      Aber wenn sie es bezahlen können, dann sollen sie meinetwegen so viel Botox kriegen wie sie wollen. Da habe ich kein Mitleid wenn eine Millionärin meint, sie müsse bis 70 faltenfrei sein.

      Und dann schreibt auch noch der Spiegel Verrisse über einen und nimmt sich den „armen“ Patienten an. Ein deutscher „Schönheitschirurg“ vom Bodensee hat das mal zu spüren bekommen. Habe den Namen gerade vergessen. Ach doch Google wusste mehr. Link editiert.

      • Wenn man schon dabei ist, die Beschneidung zu schützen – aus für was für Gründen auch immer -, sollte man gleichzeitig und um den Geschlechterausgleich herzustellen, die religiöse Brustvergrößerung einführen.

  5. @ american viewer:
    wenn ich sie richtig verstehe, sind sie arzt. interessant – obwohl ich ihren blog öfters lese, wusste ich das nicht. ich hoffe, das wird nicht zu off topic, aber mich würde interessieren, wie sie es einschätzen, wenn bei phimose aus medizinischen gründen eine beschneidung durchgeführt wird (ich meine tatsächlich medizinische gründe und nicht herbeifantasierte, um eine religiös motivierte zu legitimieren) – ich höre, dass das dazu mittlerweile nicht mehr unbedingt angeraten wird, aber das war doch zumindest noch in den 1990ern gang und gäbe.

    • danke für ihren kommentar. zu ihrem anliegen. ich halte eine beschneidung bei einer klinisch relevanten vorhautverengung schon für sinnvoll. klinisch relevant bedeutet, dass es den patienten stört bzw. dass es sogar den blufluß behindert oder hygiene unmöglich macht und so weiter.

      bei kleinen kindern ist eine enge vorhaut allerdings physiologisch, d.h. im normalen rahmen. man muss da also nicht gleich beschneiden. es gibt auch noch ebenen darunter wie vorsichtiges zurückschieben unter warmen wasser. jede woche ein bisschen mehr und so weiter.

      ich bin allerdings weder urologe noch kinderarzt. das sind die experten auf diesem gebiet, die sollte man konsultieren, wenn man real von einem solchen fall betroffen ist und rat sucht. mein statement ist nur meine persönliche meinung, keine anleitung zu irgendetwas und ersetzt auf gar keinen fall die 1:1-konsultation eines experten auf diesem gebiet. ich verweise an dieser stelle auch immer auf meinen disclaimer im abschnitt „about“.

      • danke für ihre ausführungen! bezüglich des letzten absatzes kann ich „entwarnung“ geben, ich stehe nicht vor einer derartigen enscheidung. wollte nur wissen, was der aktuelle stand der medizin ist (war vor vielen, vielen jahren betroffen).

  6. Petition gegen rituelle Beschneidung an Minderjährigen
    20. Juli 2012

    Text der Petition

    Der Deutsche Bundestag möge beschließen, Personensorgeberechtigten jede rituelle, medizinisch nicht indizierte Beschneidung eines Jungen (Zirkumzision) oder eines Mädchens (nach der Typisierung der World Health Organisation die FGM vom Typ I, II, III, IV) im Hinblick auf die Verwirklichung der körperlichen Unversehrtheit des Kindes oder Jugendlichen bis zu dessen Volljährigkeit zu untersagen. Um dem Individuum die Option auf ein Leben mit unversehrten Genitalien und mit der Option auf eine selbstgeschriebene Biographie zu ermöglichen, insbesondere im Hinblick auf die Entscheidung, ob eine lebenslange Sexualität mit oder ohne Präputium (Junge) oder Klitorisvorhaut (Mädchen) verwirklicht wird, möge der Bundestag beschließen, in das Bürgerliche Gesetzbuch Buch 4 Familienrecht Abschnitt 2 Verwandtschaft Titel 5 Elterliche Fürsorge § 1631 Inhalt und Grenzen der Personensorge einzufügen:

    § 1631d
    Verbot der rituellen Genitalmutilation

    Die Eltern können nicht in eine rituelle, medizinisch nicht indizierte Beschneidung ihres Sohnes (Zirkumzision) oder ihrer Tochter (nach der Typisierung der World Health Organisation die FGM vom Typ I, II, III, IV) einwilligen. Auch das Kind selbst kann nicht in die Beschneidung einwilligen. § 1909 findet keine Anwendung.

    297. Petition gegen die Beschneidung des männlichen oder weiblichen Kindes

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