Zettels Tod. Ein Nachruf.

Völlig unerwartet erreichte mich heute die Nachricht vom Tod Zettels, des wohl bekanntesten deutschsprachigen liberalen Bloggers. Zettel war liberal-konservativ und stand mir politisch damit sehr nahe. Es gab kaum ein Thema bei dem sich unsere Meinungen wesentlich unterschieden. Zettel war menschlich einwandfrei. Er war das Gegenteil eines Gutmenschen – er war ein guter Mensch.

In einem Interview mit Welt online vom letzten Herbst werden Zettels Positionen schön übersichtlich dargestellt. Liberal-konservativ erklärt Zettel treffend so:

 

Liberal-konservativ ist liberal, ohne linksliberal zu sein. Ich bin ein in der Wolle gefärbter Liberaler. Auch ein „Wirtschaftsliberaler“, weil mir scheint, dass Private das meiste besser können als der Staat. Wirklich am Herzen liegen mir aber die Bürgerrechte. Ich bin vor allem ein Bürgerrechtsliberaler. […] Heute aber werden unsere Freiheiten durch „Mutter Staat“ bedroht – durch den fürsorglichen, den auch immer mehr ideologisch gefärbten Staat, der in alle Lebensbereiche hineinregieren will. Der uns Bürger vielleicht nicht mehr als Untertanen sieht, aber als Unbeholfene. Denen also geholfen werden muss; von der Wiege bis zur Bahre und in allen Bereichen ihres Denkens, Wertens und Verhaltens. Dazu wurden zwei Instrumente geschaffen, gewissermaßen Passepartouts: Schutz der Umwelt und Förderung der Gesundheit. Was immer jemand in seinem persönlichen Bereich tut – es wird sich meist irgendwie auf die Umwelt und/oder seine Gesundheit beziehungsweise die anderer auswirken. Also kann man stets dort ansetzen; mit Verboten wie beim Rauchen über die Steuerpolitik wie bei der Ökosteuer und der EEG-Umlage. Vor allem aber mit „Erziehung“. Jetzt sollen ja die Dicken erzogen werden. Die Herrschenden sind heute nicht mehr die Unternehmer oder die „Reichen“; sie haben wenig zu melden. Beherrscht wird unsere Gesellschaft immer mehr von der Schicht der Ideologen, der Berater, der Multiplikatoren, Helfer und Erzieher. Sie begleiten uns, um das berühmte Wort Kants zu variieren, auf dem Weg in eine neue selbst verschuldete Unmündigkeit. Dagegen richtet sich mein konservativer Liberalismus.

Auch beim Thema Tod sind Zettels Ansichten und meine verblüffend ähnlich. Wir hatten bzw. haben beide keine Angst vor dem eigenen Tod. Es besteht aus unserer Sicht kein Grund Angst vor dem eigenen Tod zu haben, denn man erlebt ihn nicht. (Erinnerung: Mehr Wittgenstein lesen.)

Was Angst macht, ist der Tod von Angehörigen und Freunden. Wie die meisten Menschen hatte Zettel zudem Angst vor Leiden und Schmerz. Darin unterscheiden wir uns. Ich habe keine Angst vor Schmerzen, aus meiner Sicht werden Leid und Schmerz überschätzt. Das mag zum ersten daran liegen, dass ich seit meiner Jugend chronische Schmerzen habe und zum zweiten, dass ich Arzt als vielleicht mehr Mittel habe damit umzugehen. Ich teile die Philosophie meines Großvaters, der unter diversen Granatsplittern zu leiden hatte: »Der Tag an dem ich aufwache und keine Schmerzen habe, ist der Tag an dem ich tot bin.«

Der letzte Blogeintrag von Zettel ist zwei Tage alt. Sein Tod kam folglich schnell und wohl auch für ihn selbst unerwartet. Damit ging vermutlich sein Wunsch in Erfüllung, wenig bis gar nicht zu leiden.

Zettels Todestheorie bestätigt sich. Bitter ist diese Art des Todes für die Hinterbliebenen. Die Vermutung, dass Zettel sterben durfte wie er wollte, tröstet. Ich werde ihn vermissen. Zettel, du warst mir ein großes Vorbild.

Nachtrag
Zettels Raum war eine Oase der Vernunft. Siehe Nachruf von Cora Stephan.

26 Gedanken zu „Zettels Tod. Ein Nachruf.

  1. Als ich die Überschrift der Mail sah wollte ich es nicht glauben. War er doch noch immer präsent. Habe zunächst gedacht, dass dies eine Methapher ist. Erst beim lesen des Artikels wurde es traurige Gewissheit.

    Ich bete:
    HERR gib ihm die Ewige Ruhe und das Ewige Licht leuchte ihm. Herr lass ihn ruhen in Frieden und vergilt ihm das Gute, das er getan hat und vergib ihm, dort wo er gefehlt hat.

    Sein Tod schmerzt mich sehr, auch weil ich erst seit relativ kurzer Zeit in seinem Blog gelesen habe. Immer mit einem großen persönlichen Gewinn.

    Lieber Zettel, dafür sage ich Dir ein großes Dankeschön
    Herzlich, Paul

    • Ja, das weiß man in der Tat nie. Ich habe auch gedacht, Zettel sei jünger. Mir kam auch schon der Gedanke, dass er genug vom Bloggen hat und auf diese Art und Weise einen radikalen Schnitt macht. Aber so wie ich Zettel kennengelernt habe, ist das nicht der Fall. Er ist wirklich verstorben. 😦

  2. Es war schön, seine Texte zu lesen und sich klüger zu fühlen, auch wenn wie im Fall des amerikanischen Wahlsystems nur ein Bruchteil hängen bleibt. Ohne ihn wird die Welt wieder ein wenig unverständlicher.

    • Ich finde das amerikanische Wahlsystem relativ fair und simpel. Die Wahlmänner könnte man komplett streichen. Das würde die Fairness erhöhen.

      Aber immerhin passiert es nicht, dass man als kleine Minderheitenpartei mit 25% der Wählerstimmen den Präsidenten stellen kann. Wie in Baden-Württemberg. Oder dass man die Macht verliert, weil man 2000 Stimmen zu wenig an die FDP gibt. Wie in Niedersachsen. Ich halte Deutschlands Wahlsystem für deutlich komplizierter und ungerechter.

      • Wie wahr, Viewer, wie wahr!
        Nachdem die erste Wiedervereinigungseuphorie bei mir verflogen war, habe ich die Schwäche des Wahlsystems erkennend, mich Anfang der 90er für ein modifiziertes Mehrheitswahlrecht eingesetzt. Für die Partei mit der relativen Mehrheit sollte immer die Alleinregierung ermöglicht werden.
        Habedamals alle im Bundestag vertretenen Parteien angeschrieben.
        Es wird Dich nicht wundern: Alle Parteien waren dagegen.
        Die Begründungen waren unterschiedlich:
        – Dieses Wahlsystem habe sich in mehr als 40 Jahren Bundesrepublik bewährt und Deutschland zu dem gemacht was es heute ist.
        – Beim Mehrheitswahrecht würden die Minderheitenstimmen bedeutungslos werden, quasi „unter den Tisch fallen“. Das sei aber unerträglich.

        Da man aus meiner Adresse ersehen konnte, dass ich aus dem „Osten“ kam, fehlte es nicht an gut gemeinten Hinweisen über Demokratie, die ich erst noch verinnerlichen müsse. (Welche Überheblichkeit.)

        Alle Parteien lehnten meinen Vorschlag ab!

        Für mich war klar, es ging ihnen nur um Macht und Einfluss. Ein bischen Macht, z.B. als Minderheitenkoalitionspartner, war immer noch besser als keine in der Opposition. (Von gestaltender Opposition hatte noch niemand etwas gehört. Deshalb ist nach der Wahl für den Unterlegenen immer vor der Wahl. Das bedeutet permanenten Wahlkampf und den Versuch über den Bundesrat eine destruktive Gegenregierung aufzubauen.)

        An dieser Haltung hat sich bis heute nichts geändert. Da gibt es innerhalb der Parteien eine stabile Mehrheit.
        Es kümmert auch niemanden, dass es außerhalb der Parteien vielleicht anders aussieht. Jedenfalls wird die Wahlverdrossenheit der Bürger als Politikverdrossenheit umgedeutet.

  3. Vom Totsein habe auch auch keine Angst. Vorm Totwerden schon. Der Übergang vom Leben zum Tod kann sich recht unerfreulich gestalten.

    • Natürlich ist der Sterbevorgang oftmals unerfreulich. Für die Angehörigen und für einen selbst. Allerdings wird dabei auch sehr übertrieben. Die Ängste sind aus meiner Sicht in aller Regel unbegründet. Ich selbst habe absolut keine Angst vor dem Sterbevorgang. Was sind Tage, Wochen, Monate oder gar Jahre an Leiden gegenüber dem Tod selbst? Im Vergleich zum ewigen Tod sind Leben und Sterben Wimpernschläge, von denen man jede Sekunde mitnehmen sollte.

      • Natürlich ist der Sterbevorgang oftmals unerfreulich. Für die Angehörigen und für einen selbst. Allerdings wird dabei auch sehr übertrieben. Die Ängste sind aus meiner Sicht in aller Regel unbegründet.

        Ich würde sagen, es kommt darauf an, welchen Ärzten man dabei in die Hände fällt. Eine Nachbarin meiner Schwiegereltern ist zu Hause an Krebs gestorben. Ihre Schmerzenschreie waren wochenlang in der ganzen Nachbarschaft zu hören. Das hat mir schon Angst gemacht. Allerdings war das so Mitte/Ende der 90er und ich hoffe mal, dass das Morphium inzwischen großzügiger verabreicht wird.

  4. An die Grenzen der Meinungsfreiheit ist man in dem zu dem Blog gehörigen Forum allerdings schnell gestoßen. Ich eigentlich schon und nur wegen Verwendung der Ausdrücke „EUdSSR“ und „Blockparteien“ (für CDUCSUFDPSPDGRÜNE), wenn ich das richtig sehe. Deswegen wurde ich schon deutlich in die Nähe des Rechtsextremismus gerückt. Natürlich ist o.k., wenn das ein Blogbtreiber für sich so sieht, das ist virtuelles Hausrecht. Ich will mich auch nicht beschweren oder nachkarten und den anschließenden Rauswurf habe ich absichtlich selber provoziert, ganz klar.

    Wenn das aber Gipfel und Krönung des Internet-Liberalismus in Deutschland gewesen sein soll, bin ich doch etwas verwundert.

    Ansonsten gab’s in Zettel’s Blog sicherlich viele luzide Beitrage, neben einigem Geschwurbel. Aber wer ist schon perfekt? Sicher wird er der Szene fehlen. Jedenfalls mehr als ich, wenn ich morgen tot umfalle. Ich bedauere seinen Tod. R.I.P.

    • Mit Schlagworten, selbst wenn sie inhaltlich zutreffen, erreicht man meist nur die bereits Gleichgesinnten. Bisher Andersdenkende oder Zweifelnde überzeugt man damit nur sehr selten, häufiger schreckt man sie eher davon ab, sich auf eine alternative Sichtweise einzulassen. Zettels Insistieren darauf, solche Schlagworte zu vermeiden, nötigt den Kommentator, selbstkritisch zu überdenken, ob er es nicht vielleicht auch schafft, sich so auszudrücken, daß man ihm auch auf der anderen Seite zuhört, nicht nur auf der eigenen. Das ist, auch für mich zuzeiten, anstrengend. Aber das Ergebnis, das von den Gästen ja gerade geschätzte hohe Niveau im Forum, war die Anstrengung m.E. immer wert.

      • Mit Schlagworten, selbst wenn sie inhaltlich zutreffen, erreicht man meist nur die bereits Gleichgesinnten. Bisher Andersdenkende oder Zweifelnde überzeugt man damit nur sehr selten, häufiger schreckt man sie eher davon ab, sich auf eine alternative Sichtweise einzulassen.

        Wenn’s denn um politische Wirksamkeit gehen soll, dann ist dieser Ansatz falsch. Es geht dannn gerade darum, mit Schlagworten ein Narrativ zu etablieren, das möglichst gar nicht mehr hinterfragt wird. Beispiele: Die angeblich immer weiter offene Schere zwischen Arm und Reich. Die Islamophobie. Der Kampf gegen Rechts. Die soziale Gerechtigkeit.

        Das ist kein hohes Niveau, aber es wirkt. Propaganda ist die ewige Wiederholung des Immergleichen solange bis es fast alle glauben.

        Aber das Ergebnis, das von den Gästen ja gerade geschätzte hohe Niveau im Forum, war die Anstrengung m.E. immer wert.

        Das Ergebnis war ein akademischer Debattierclub mit einigen Denk,- und Sprachverboten bei zweifellos erheblicher intelektueller Potenz der meisten Beteiligten. Gerade an der Klippe zur praktischen politischen Betätigung ist der Urheber leider verstorben. Ob er damit Erfolg gehabt hätte, ist Gegenstand bloßer Spekulation. Die Geschichte legt jedenfalls nahe, dass politischer Erfolg oft mit gröberen Mitteln erreicht wird.

      • Wenn’s denn um politische Wirksamkeit gehen soll, dann ist dieser Ansatz falsch. Es geht dannn gerade darum, mit Schlagworten ein Narrativ zu etablieren, das möglichst gar nicht mehr hinterfragt wird. Beispiele: Die angeblich immer weiter offene Schere zwischen Arm und Reich. Die Islamophobie. Der Kampf gegen Rechts. Die soziale Gerechtigkeit.

        So sehe ich das auch und ziemlich genau die Beispiele hätte ich auch gebracht. Die westliche Linke operiert sehr viel und sehr erfolgreich mit reinen Schlagwörtern. Sie sind so erfolgreich mit ihrem Narrativ, dass die Schlagwörter übergegangen in eine Art kollektives Bewusstsein.

      • Mit Schlagworten, selbst wenn sie inhaltlich zutreffen, erreicht man meist nur die bereits Gleichgesinnten.

        Die deutsche Linke operiert sehr viel mit Schlagwörtern und erreicht sehr viele Menschen. Da muss man sich schon fragen, was ist Henne, was ist Ei und ist die Reihenfolge überhaupt wesentlich?

    • Ich möchte nur bei Blogs posten, in denen EUdSSR und Blockparteien gängige Begriffe sind. Wer diese Beschreibungen nicht mag, hat keine Ahnung von Politik und kann grad die taz lesen.

    • „Das Ergebnis war ein akademischer Debattierclub“

      Ja, genau. Sollte es ja auch sein.
      Mir ist schon klar, daß Wirksamkeit „draußen im Lande“ auch Propaganda erfordert. Die muß und soll durchaus betrieben werden. Bloß, Zettels Vorgabe war eben, daß sein Blog ein Debattierklub sein sollte, keine Propagandaplattform. Muß man halt so akzeptieren. Und vielleicht in dem Debattierklub jemanden überzeugen, der dann als Multiplikator losgeht und andernorts die nötige Propaganda macht.

      • Und vielleicht in dem Debattierklub jemanden überzeugen, der dann als Multiplikator losgeht und andernorts die nötige Propaganda macht.

        Danke für den Kommentar. Jetzt verstehe ich besser, was Zettel erreichen wollte.

  5. Jetzt hab‘ ich den Nachruf von Cora Stephan gelesen und damit wird mir einiges klar. Eine Wahlinitiative (oder so was ähnliches ) für die FDP war also geplant. Da kann man natürlich niemand gebrauchen, der Unterschiede zwischen FDP und den anderen Parteien nicht so recht sehen mag oder sich sonst eher grundsätzlich kritisch äußert.

    Insgesamt schätze ich das als eher naives Unterfangen aus sicherlich ehrenwerten Motiven ein. Und: Wie sollte das mit der Anonymität, auf die der Verstorbene laut Frau Stephan so großen Wert gelegt hat, vereinbar sein?

    Sobald eine politische Wirksamkeit spürbar geworden wäre, hätte sich doch die Linken mit allen legalen und extralegalen Mitteln um Aufdeckung der Identität bemüht, um die Person anzugreifen. Dass das funktioniert, hat man an einigen Beispielen gesehen.

    • Da kann man natürlich niemand gebrauchen, der Unterschiede zwischen FDP und den anderen Parteien nicht so recht sehen mag oder sich sonst eher grundsätzlich kritisch äußert.

      Das war bei Zettel in der Tat so. Dass zu kritische bzw. querulantische Stimmen nicht geduldet wurden. Da muss man allerdings auch Zettel verstehen. Das ist immer eine Gratwanderung. Jeder der ein Blog hat, wird das nachvollziehen können.

  6. Keine Frage, Zettel war schon einer der ganz Großen in der liberal-konservativen Blogosphäre. Allerdings schäme ich mich kein bisschen dafür, dass auch ich hochkant bei ihm rausgeflogen bin. Nein, einer derart biederen Forumskultur kann ich, wie ich es auch betrachte, wirklich nichts abgewinnen. Wie auch immer, es ist jetzt nicht die Zeit mit jemandem abzurechnen, sondern die unbestrittenen Verdienste des Verstorbenen zu würdigen.

    Was diese FDP-Sache betrifft, glaube ich auch nicht, dass die großes Potential gehabt hätte. Nein ich denke, von dieser FDP darf man sich nichts mehr erhoffen. Unsere letzte Hoffnung ist vielleicht die „Alternative für Deutschland“.

    • Danke für deinen Kommentar.

      Nein, einer derart biederen Forumskultur kann ich, wie ich es auch betrachte, wirklich nichts abgewinnen.

      Deshalb habe ich mich dort nie angemeldet. Es war wirklich bieder. Kritisch betrachtet war es ein Klub der Ja-Sager.

      Unsere letzte Hoffnung ist vielleicht die “Alternative für Deutschland”.

      Diese Bewegung gefällt mir auch. Das wäre ein positiver Super-Gau, wenn diese Partei zur Bundestagswahl antritt, mit dem Ziel über 5% zu kommen. Allerdings sehe ich das bisher noch nicht.

      Als „letzte Hoffnung“ (erinnert an ein altes Wahlplakat) sehe ich die Partei auch nicht. Es gibt immer Hoffnung. Egal was kommt. In den letzten Monaten verfolge ich zudem die Theorie, dass der Liberalismus nicht besiegt werden kann und seine größte Wirkung auch ganz ohne echte liberale Parteien entfaltet.

Hinterlasse einen Kommentar