Burschenschafter fechten mit dem Spiegel

Der Spiegel berichtet über den Fall eines deutsch-chinesischen Burschenschafters dessen Verbleib in seiner deutschen Burschenschaft innerhalb des Dachverbandes höchst umstritten sei. Jedenfalls laut Spiegel. Hier nun eine kleine Analyse.

In der Einleitung zu einem Interview mit der Politologin Alexandra Kurth zum Thema heißt es, diese erkläre nun „weshalb die Rechtsextremen immer stärker werden“.

Eine Bestätigung für diese Behauptung habe ich im ganzen Interview nicht gefunden. Im Gegenteil. Gleich im ersten Satz sagt Kurth über den laut Spiegel rechtsextremen Dachverband „Deutsche Burschenschaft“:

Der Einfluss des Verbandes hat abgenommen, aber unterschätzen sollte man ihn nicht.

Natürlich steigert es die Leserschaft, wenn man das Klischee vom „immer stärker werdenden Rechtsextremismus“ erfüllen kann, aber dann sollte man doch bitte auch das Versprochene liefern.

Wir lesen weiter:

SPIEGEL ONLINE: Muss man gleich die Nazi-Keule herausholen? Das Abstammungsprinzip galt schließlich bis zum Jahr 2000 auch in der Bundesrepublik – bis die Verfassung unter Rot-Grün für das neue Staatsbürgerschaftsrecht geändert wurde.

Kurth: So argumentieren auch die rechten Burschen, und es ist eine ebenso perfide wie falsche Argumentation: Die Abstammung war eben auch vor dem Jahr 2000 nicht das ausschließliche Kriterium dafür, Deutscher werden zu dürfen. Dieser Weg stand prinzipiell allen offen, die sich über einen längeren Zeitraum legal in Deutschland aufhielten – und viele haben auch davon Gebrauch gemacht.

Der Spiegel greift hier geschickt die Argumente der „Rechtsextremen“ auf und formuliert sie als scheinheilige Frage um, für die Kurth ganz offensichtlich schon eine Antwort parat hat. Wie das Interview tatsächlich ablief, weiß kein Mensch, aber wohl kaum auf diese Art und Weise. Die Antwort von Kurth erscheint jedenfalls koscher und walzt auf den ersten Blick alle Zweifel glatt. Auf den zweiten Blick fällt allerdings ein weiterer Kniff auf: Die Kunst des Weglassens.

Was meint Kurth mit schwammigen Formulierungen wie „nicht das ausschließliche Kriterium“ und „dieser Weg stand prinzipiell allen offen“? Kurth mag ja Recht haben, aber diese vage Ausdrucksweise nährt doch den Verdacht, dass man hier absichtlich nicht genauer werden will. Welches Gesetz meint Kurth konkret? Das Ausländergesetz? Dann hätte ich über Jahre etwas verpasst, denn ich konnte mich nie einbürgern. War mein Wille nicht groß genug oder war ich zu selten in Deutschland? Ich habe mich wiederholt von deutschen Behörden beraten lassen zwecks deutscher Staatsbürgerschaft, aber da ging nichts! Wie das heute ist, weiß ich nicht, aber wie es war, weiß selbst wikipedia:

Bis in die 1990er Jahre hatten nur nach Deutschland eingewanderte deutsche Volkszugehörige (im Sinne von Artikel 116 des Grundgesetzes) einen Anspruch auf Einbürgerung.
Die Kriterien richteten sich nach uneinheitlich praktizierten Einbürgerungsrichtlinien der Bundesländer (Verwaltungsvorschriften).

Ooooops!

Siehe auch hier:

Seit dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz 1913 galt im Deutschen Reich ein reines ius sanguinis. Mit der Staatsangehörigkeitreform 2000 wurde mit dem sogenannten „Optionsmodell“ ein ergänzendes ius soli für die zweite Einwanderergeneration eingeführt.

Ganz am Ende des Interviews erfährt man dann doch noch in überraschender Ehrlichkeit, worum es dem Spiegel und Kurth eigentlich geht:

Die Burschenschafter beklagen, nur in unappetitlichen Zusammenhängen thematisiert zu werden. Ihnen fällt gar nicht auf, dass ihre sonstigen Aktivitäten vollkommen uninteressant sind.

Gerade einmal ein (!) Satz davor wundert sich Kurth noch, warum Außenstehende und vor allem die Presse bei diesen Gruppierungen als feindlich gesinnt gelten. Geht es noch dreister?! Warum sollten die Burschenschafter mit jemandem reden wollen, der ganz offen zugibt, sich nur für Aktivitäten zu interessieren, die man skandalisieren kann? Bin ich im falschen Film?

Aber die Burschenschafter geben trotzdem Interviews. Sogar dem Spiegel.
Dabei erfährt man dann, dass der Antrag auf Ausschluss zurückgezogen wurde und was der Betroffene Kai Ming Au von seiner Burschenschaft, von seinem Verband und von Deutschland hält:

Ich bin stolz, Teil dieser Gemeinschaft zu sein, ich bin stolz, als Wehrdienstleistender meinem Vaterland gedient zu haben, und ich bin stolz, Deutscher zu sein. Wenn ich mich hier nicht wohlfühlen würde, dann wäre ich gar nicht hergekommen. Im nächsten Jahr würde ich sogar gern als Verbandsobmann kandidieren – also für die Führungsebene des Dachverbands.

Im gesamten Interview äußert sich Kai Ming Au rundweg positiv über seine Burschenschaft, nur der abgelehnte Antrag der Raczeks machte ihn verständlicherweise „fassungslos“. Diese Aussage wird dann natürlich vom Spiegel als Titel genommen. Damit werden die positiven und zuversichtlichen Kernaussagen des Burschenschafters ins Negative verdreht. Wer kann da die pressekritische Einstellung der Burschenschafter nicht nachvollziehen?

Anmerkung:
Berühmte Mitglieder der Raczeks waren Ferdinand Lassalle und Wilhelm Wolff. Ursprünglich kommen die Raczeks aus Breslau. Ich bezweifle stark, dass dieser Teil der deutschen Geschichte in deutschen Klassenzimmern gelehrt wird.
Wer die Geschichte Breslaus trotzdem kennt, versteht vielleicht eher, warum die Raczeks noch immer mit dem Verlust ihrer Heimat hadern und in einigen Punkten weltfremd und anachronistisch erscheinen. Sind sie deshalb Nazis? Wohl kaum.

Hinterlasse einen Kommentar