Wie nach jedem Amoklauf und Terroranschlag geht nun wieder das wilde Spekulieren los. Spätestens seit dem Amoklauf in Tucson, hat sich das Spiel „Ich puzzle mir den Attentäter nach meinen Vorurteilen zusammen“ durchgesetzt. Als erstes also ein kurzer Überblick über die aktuell bekannten Puzzleteile:
Biobauer
Düngemittel-Einkäufer
Waffenbesitzer
Freimaurer
Killerspiele
World of Warcraft
Adam Smith
Immanuel Kant
George Orwell
John Stuart Mill
Winston Churchill
Geert Wilders
Max Manus
Bodybuilding
Reisen
klassische Musik
Politikwissenschaft
Rechtsextremist
Nationalist
Patriot
konservativer Christ
gegen Multi-Kulti
pro-gay
pro-Israel
Islamkritiker
Jäger
blond
blaue oder grüne Augen
Daraus kann man jetzt natürlich tolle Artikel basteln. Ich hab’ mich einfach mal ganz spontan für den „Biobauer“ entschieden. Der Spiegel wählt „Blond, blauäugig, skrupellos“. Eine hervorragende Wahl. Auch wenn „Die Presse“ aus Österreich widerspricht und meint Anders Behring Breivik sei grünäugig. Das muss man dringend noch einmal ganz genau nachrecherchieren. Das hat entscheidende Konsequenzen für alle Blau- und Grünäugigen dieser Welt. Ich kann gut verstehen, dass der Spiegel wert darauf legt, das Aussehen eines Terroristen im Titel zu beschreiben. Man denke an die Überschriften zu London, Madrid und 9-11.
„Dunkle Haut, schwarze Augen, keine Skrupel“. Das ging damals runter wie Öl. Nein natürlich nicht. Das Aussehen hat im Titel auch selten etwas verloren. Außer zu Fahndungszwecken oder wenn man eben gewisse Klischees bedienen will.
Auch im Fall des niederländischen Politikers Geert Wilders spielen seine blonden Haare bei vielen Kommentatoren auffällig oft eine wichtige Rolle. „Der große blonde Islamhasser“ ist nur ein Beispiel von vielen. Politisch korrekter Rassismus ist was Feines.
Um ganz sicher zu gehen, dass so etwas nie, nie, nie wieder passiert, sollte man die oben genannte Liste durchgehen und sicherstellen, dass die genannten Ansichten, Interessen und Besitztümer des Terroristen umgehend eingeschränkt bis verboten werden.
Will heißen: Verbot von Waffenbesitz, Killerspielen und Düngemitteln. Jeder Fan von Adam Smith, Immanuel Kant, George Orwell, John Stuart Mill, Winston Churchill oder Max Manus sollte in Zukunft kritisch beäugt werden. Am besten man setzt deren Bücher sofort auf den Index. Politische Ansichten, die man dem christlichen, pro-israelischen, konservativen, islam-kritischen, pro-homosexuellen, anti-multikulturellem, nationalistischen oder rechtsextremen Spektrum zuordnen kann, gehören geächtet und wirksamer bekämpft. Das fällt alles unter „Ursachenbekämpfung“. Ein kleiner Scherz meinerseits natürlich, aber die bittere Wahrheit ist bekanntermaßen, dass Medien und breite Teile der Gesellschaft eben diesen Terroranschlag ausnutzen werden, um doch – ganz unparteiisch und ohne Eigeninteresse natürlich – einige der genannten Maßnahmen haargenau so umzusetzen. Im Prinzip weiß jeder welche Maßnahmen das sein werden.
Gegebenenfalls wird einfach das gewünschte Weltbild mit allen Mitteln aufrechterhalten. Auch wenn es mit der Wahrheit noch nie etwas zu tun hatte. Artikel über Jared Loughner zum Beispiel sind beim Spiegel bis heute ungeniert unter der Kategorie „Tea-Party-Bewegung“ eingeordnet.
Der altbekannte Yavuz Öguz vom deutschen Muslim-Markt kennt in seinem Artikel „Europa muss sich befreien – von Norwegen geht die neue Chance aus!“ weitere „wahre Ursachen“ für den Terroranschlag in Oslo:
Wer die wahren Ursachen für Terror in dieser Welt erkennen und bekämpfen will, der muss seine Scheuklappen ablegen, Mut beweisen und dem norwegische Ministerpräsident Stoltenberg jetzt zur Seite stehen und ihn darin unterstützen: „Niemand wird uns durch Bomben zum Schweigen bringen, niemand wird uns durch Schüsse zum Schweigen bringen.“
Die Aussage, die immer wieder wiederholt werden muss lautet: Ohne Gerechtigkeit gibt es weder Frieden noch Freiheit. Und so lange Palästina jahrzehntelang von der gesamten Westlichen Welt unter Besatzung gehalten wird, wird es immer wieder Terroristen geben, oft im Kleid von “Islamisten“, zuweilen im Kleid von “Rechtsradikalen“, zuweilen im Kleid von “geistig Verwirrten“, die Unfrieden auf Erden stiften, einen Unfrieden, der Juden, Christen, Muslime und alle anderen gleichermaßen trifft. Wer sich aber wirklich für Frieden einsetzen will, der muss dafür sorgen, dass die jahrzehntelange Unterdrückung und Besatzung im Namen der Westlichen Welt ein Ende findet. Das gilt vor allem für die Regierungschefs der Europäer.
Was auf den ersten Blick klingt wie die Gedankenwelt eines verrückten Antisemiten, ist leider eine weit verbreitete, konsensfähige Geisteskrankheit quer durch alle westeuropäischen Bevölkerungsschichten. Die westlichen Länder unterdrückten den Rest der Welt, was zu Krieg, Ungerechtigkeit, Armut und Terrorismus führe. Das angeführte „Musterbeispiel“ ist dabei in der Regel Israel.
In Deutschland zum Beispiel ist das die publizierte Mehrheitsmeinung. Wenn natürlich auch viel, viel „geschickter“ formuliert. Von der Partei Die Linke über die meisten Massenmedien bis hin zu schillernden christlich-konservativen Figuren wie Jürgen Todenhöfer blasen alle ins gleiche Rohr. Beim Oslo-Anschlag hat meines Wissens bisher allerdings nur Yavuz Öguz den Bogen zu Israel geschafft. Was man verstehen muss, denn einen „pro-israelischen Nazi“ können selbst die genannten Personen und Organisationen nur schwer an den Mann bringen. Wie wär’s mit „faschistischer Zionist“? Das wäre dann wieder eine allgemein akzeptierte Bezeichnung in diesen Kreisen.
Eine „konservative Katastrophe“ ist der Amoklauf schon gar nicht. Was soll denn das bedeuten? Eine Katastrophe ist der Amoklauf zuallerst für die Angehörigen. Die Politik würde ich mal außen vorlassen. Diese ideologische Verallgemeinerung und Ausschlachtung für eigene Zwecke findet immer nur dann so hemmungslos statt, wenn man dem rechten Lager die Schuld geben kann.
Hat den deutschen Linken etwa die RAF geschadet? Nicht wirklich. Die SPD saß damals felsenfest im Sattel und die Grünen haben sich erfolgreich gegründet. Der Marsch durch die Institutionen nahm Fahrt auf. Die RAF war für die Linken sogar nützlich. Sie erweiterte das politische Spektrum ganz nach links und aufgrund der Tedenz zur Mitte verschob sich auch die politische Mitte nach links.
Jared Loughner ist schizophren und auch Breivik scheint mir eine Psychose zu haben. Aber so weit sind die Medien noch nicht. Im Fall Loughner schob man die Tat so lange es ging dem rechten Lager in die Schuhe. Bei Breivik ist es nicht anders. Erst wenn sich auch im Fall Breivik eine Geisteskrankheit nicht mehr verschweigen lässt, wird man das Thema ähnlich schlagartig „vergessen“ wie den Fall Loughner.
Die einzig wirklich lesenswerte Analyse zum Thema kommt bisher von Jennifer Nathalie Pyka und trägt den treffenden Titel „Bio-Bauer trifft auf deutsches Expertentum“.