Es gibt nicht wenige, die dem Bundesrat Efgani Dönmez zustimmen, der 5000 One-Way-Tickets für Erdogan-Anhänger forderte. Das Problem: Auch Menschen wie Dönmez kommen nicht ohne V-Theorien aus. Was Erdogan betreibe, sei nämlich “Neoliberalismus”.
Erdowahn ist für diese Leute nicht „nur“ ein Faschist, sondern – was noch schlimmer ist – ein “Neoliberaler”. Das Weltbild von Menschen wie Dömnez kennt drei aufeinanderfolgende Steigerungen des Bösen: Faschist, Neonazi, Neoliberaler.
Claudia Roth wird ebenfalls für ihren Einsatz gelobt. Zugegebenermaßen war auch ich zu Beginn von Roths Einsatz positiv überrascht. Dieser positive Eindruck verfliegt, wenn man ein bisschen recherchiert. Roth hat nämlich weniger etwas gegen Islamismus, vielmehr steht für sie ebenfalls der angebliche “Neoliberalismus” Erdogans im Vordergrund.
In einem Interview mit arte machte Roth das noch einmal deutlich. Ein arte-“Journalist” lieferte ihr mit folgender Suggestiv-Frage die Steilvorlage: “Erdogan steht heute für ein Programm, das neoliberale Wirtschaftspolitik mit dem Islam zusammenbringt. Ihre Analyse?“
Roth nimmt den ersten Teil dankbar an. Erdogans Partei stehe für „Hardcore-Neoliberalismus“. Das ist für Roth der böse Kern von Erdogan. Beim Thema Islamisierung müsse man hingegen sehr aufpassen, denn es gäbe Muslime, die ihr Recht auf Glauben und Religionsfreiheit wahrnehmen, aber Erdogans Politik nicht unterstützen.
Noch einmal zur Verdeutlichung. Die Frage des Journalisten bezog sich klar auf Islamisten. Roth geht darauf mit keinem Wort sein, sondern spricht von „Muslimen, die ihr Recht auf Glauben und Religionsfreiheit wahrnehmen.“
Man google einmal die Stichwörter Erdogan und neoliberal. Es erscheinen die üblichen Verdächtigen: ORF, taz, arte, der Freitag, Deutsche Welle, SpOn und so weiter.
Blogger wie Aron Sperber und ich haben immer wieder gesagt, dass Erdogan ein Faschist ist. Ein Neoliberaler ist er nicht. Den Begriff Neoliberalismus als Vorwurf zu benutzen, hat nur ein Ziel: Der Liberalismus, die Freiheit an sich, soll delegitimiert werden. Claudia Roth und Co sind nicht liberaler als Erdogan. Sie sind nur auf andere Art und Weise antiliberal.
Natürlich ist diese Erkenntnis für die Leser dieses Blogs nicht neu.
Man kann es trotzdem nicht oft genug wiederholen.
Siehe auch:
Gerd Habermann – Wie liberal sind die Grünen?
Alexander Grau – Nicht liberal, sondern stockkonservativ.
Hier noch einmal Claudia Roths Aussagen zu Dokumentationszwecken im Wortlaut:
Die AKP-Partei Erdogans steht für Hardcore-Neoliberalismus. Sie schert sich nicht um die Umwelt, um das historische Erbe. Die letzte grüne Oase in Istanbul soll platt gemacht werden. Ein zweiter Bosporus soll gebaut werden, dazu eine Brücke, die das UNESCO-Weltkulturerbe der Altstadt zerstört. Eine Shopping-Mall nach der anderen entsteht, Atomkraftwerke in Erdbeben-Gebieten sind geplant. Das hat nicht mehr viel mit wirklichem Glauben oder mit Werten zu tun. Noch einmal zum Thema Islamisierung. Da muss man sehr aufpassen. Denn es gibt Muslime, die ihr Recht auf Glauben und Religionsfreiheit wahrnehmen, aber Erdogans Politik nicht unterstützen. Diese erinnert immer mehr an die Politik seines Freundes, an die „gelenkte Demokratie“ Wladimir Putins.
Neoliberalismus ist eben ein modisches Schimpfwort, dessen Bedeutung niemand kennt.
Ich studiere politische Wissenschaften und es gibt sehr konträre Vorstellungen darüber, was das sein soll (Marktfundamentalismus bis hin zu sozialer Marktwirtschaft). Und es ist kaum abzustreiten, dass in vielen Ländern die Natur nicht (trotz Wünschen der Bevölkerung) berücksichtigt wird. Das hat auch viel mit Neoliberalismus zutun, ist aber eben kein Naturgesetz. Es liegt einfach an fehlender Demokratie, in eigentlich allen Ländern.
Also ich halte Neoliberalismus für einen anderen Namen für Rechtsliberalismus, also der Wirtschaftsliberalismus. Wobei mir Neoliberalismus als Begriff nicht gefällt. Neo heißt doch so etwas wie neu oder rebellisch.
Die meisten Leute benutzen die Bezeichnung falsch. Vielleicht soll er auch nur eine Ableitung von Neonazi sein, so wie das Wort Faschismus. Damit wird auch alles mögliche beleidigt, insbesondere von den Linken, um den anderen auf das selbe Niveau von Adolf Hitler zu ziehen. Deswegen benutze ich dieses Wort nicht mehr. Also alles was Faschistisch ist ist auch Neo.
Rechtsliberalismus und Wirtschaftsliberalismus sind schon wieder so unterschiedliche DInge. Natürlich gibt es gängige Definitionen von Neoliberalismus aber in keiner kommt als gesonderter Punkt ein Fokus/Streben auf nationale Souveränität vor.
@shaze86
Danke. Genau diesen Eindruck habe ich auch. Die Leute hören „Neo-“ und dann ticken sie komplett aus.
Sind sie nicht! Sie sind exakt das Selbe. Was ist denn nach deiner Meinung der Linksliberalismus? Das Streben nach einem sozialistischen Freiheitsstaat?
Ich glaube in Deutschland gibt es nach der Politikwissenschaft genau zwei Richtungen: links, die Guten und rechts – na was wohl? – die Bösen.
Nein, meiner Meinung nach strebt Linksliberalismus nicht nach einem sozialistischen Freiheitsstaat.
Aber Rechtsliberalismus (andere Bezeichnung für Nationalliberalismus) ist nunmal eine konkrete Strömung die teilweise eigene Vorstellungen hat, die im reinen Wirtschaftsliberalismus nicht vorkommen.
Linksliberalismus ?
Zerschlagung von Energiekonzernen die sich im Besitz von Kommunen und Bundesländern befinden zugunsten von privaten Investoren die es sich leisten können in Solaranlagen und Windkraftwerke zu investieren.
Bezahlt wird diese Wirtschaftspolitik von den einfachen Arbeitern die sich diese Investitionen nicht leisten können, aber höhere Strompreise zahlen dürfen und eventuell sogar ihren Arbeitsplatz verlieren wenn ihr Arbeitgeber mit dem billiger produzierenden Wettbewerber mithalten können.
@Alreech
Präzise zusammengefasst, danke.
Leute wie Dönmez oder Claudi Roth merken nicht, dass es gerade sie sind, die Erdogan am meisten verharmlosen, indem sie ihre Schmähbegriffe wie „Religiös-Konservativer“ oder eben „Neoliberaler“ auch für einen Islamisten verwenden.
dabei ist der Calvinismus der Erdogan-Bewegung eines der positiven Elemente der heutigen Türkei
aber gerade das stört europäische Linke offenbar mehr als der Kopftuch-Faschismus und der irrationale Antisemitismus der türkischen Islamisten-Bewegung
Danke.
Pingback: Calvinisten stören Sozialprojekt EU | Aron Sperber
zum selben Thema, etwas ausführlicher.
http://science.orf.at/stories/1719331/
Danke. Das meinte ich mit ORF.
Den rücksichtslosen Eingriff in den öffentlichen Raum solltest Du nicht ignorieren, Aron. Die linke Kritik passt da schon. Sie sollte allerdings nur als ein Teil der Kritik an Erdogan wahrgenommen werden
„Das Weltbild von Menschen wie Dömnez kennt drei aufeinanderfolgende Steigerungen des Bösen: Faschist, Neonazi, Neoliberaler.“
Das Gefühl habe ich bei vielen Linken generell sehr häufig – nicht religiöser Faschismus oder sonstige Arten von totalitären Lebensmodellen sind aufs Schärfste zu verurteilen, sondern der böse Neoliberalismus, Kapitalismus und Globalisierung sowieso – das sind die wahren Feinde der Freiheit und Vorreiter der Unterdrückung.
Statt menschenverachtende Ideologien als solche zu bezeichnen, wird lieber kulturrelativierend gesagt, „man müsse den anderen in seiner Andersartigkeit respektieren“ und dass das westliche Lebensmodell auch nur eines unter vielen ist und keinesfalls besser sei. Man möge mich korrigieren, aber ich fühle mich doch moralisch überlegen, weil ich es irgendwie uncool finde, Homosexuelle an Baukränen aufzuhängen und Ungläubige zu töten.
Diese Neoneandertaler!
Wobei ist dieser Erdogan wirklich ein Islamist? Mir ist er persönlich zu wenig islamistisch für einen Islamisten, aber viel zu despotisch für einen Konservativen.
Ich würde gerne eine Frage stellen, auch wenn sie Off-Topic ist.
Also, heute Morgen wurde in den Nachrichten einen Bericht über die schlechte Infrastrucktur in den Vereinigten Staaten gesehen. Frage: Ist es wirklich so, dass die Infrastrucktur wirklich deutlich schlechter, als in Europa, und technisch überhohlt ist?
MfG Alexander Wolf
Das kann man so pauschal nicht sagen. Die Highways sind natürlich oft nicht so gut wie die deutschen Autobahnen. Aber welches Land hat schon deutsche Autobahnen? Die Strecken sind auch viel größer. Man braucht mehr Straßen für weniger Menschen pro km2. Die Stromnetze laufen überirdisch, oft ist alles voller Kabel. Auch das hat Gründe: Man will flexibel bleiben. Das Internet zum Beispiel. In Deutschland musste man jahrelang mit 56k-Modems surfen, da gab es in Amerika schon lange 1-, 10- und 100Mbit-Kabelmodems. Es ist immer die Frage, welche Infrastruktur man meint und welchen Teil von Amerika man betrachtet. Straßen, Wasser und Strom sind in DL im Durchschnitt vielleicht (noch) besser – Medien, Elektronik und Internet sind in Amerika besser.
Ahja verstehe, danke für den Einblick.
Sich über „Neoliberalismus“ aufzuregen, geht gleich an zwei Elefanten im Raum vorbei.
Nämlich dass diese Islamisten (jetzt mal inklusive Ägypten, pp.) a) nichts können und b) aber alles versprechen( Die Lösung halt !).
Eine Klage darüber, wie schlimm und nicht nur böse das ist hier auch mal für Ägypten:
http://de.qantara.de/Heiliges-Privateigentum/20875c23151i0p84/
Als Punkt c) versuchen sie dann Osmanen-Kitsch mit Vulgär-Kapitalismus zu mixen; jedoch vor dem großen Aufreger darüber: siehe a)
General-Linie: Erst schlimm, bevor böse. Im Gesamtkontext des Arabischen Erwachen sogar mit eingebautem Mechanismus, das ganze Desaster sich in regionalen Konflikten entladen zu lassen unter möglicher prekärer Teilhabe unseres wackeren NATO-Partners Türkei. Hierzu eine gerade veröffentlichte Grundsatzbetrachtung von mir:
http://blog.zeit.de/joerglau/2013/06/27/gastbeitrag-jugenduberhang-und-neuer-konfessionskrieg_6043
Aus ihrem Link auf qantara:
Kein Konzept haben und abstrakte islamische Debatten führen, sind also Kennzeichen des Neoliberalismus? Das ist doch lächerlich und natürlich sollte man das benennen. Nirgendwo in diesen Texten steht, was „neoliberal“ an den Muslimbrüdern teil soll. „Neoliberal“ wird von deutschsprachigen Journalisten und von anderen Menschen als inhaltsleeres Füllwort und als Schmipfwort benutzt. Es sagt viel über diese Menschen aus, dass sie den Liberalismus so verunglimpfen. Freiheit hat in DL einen schlechten Ruf.
Der Tschemm, also der Özdemir, hat es bei Jauch ja explizit gesagt, Erdogan sei deshalb böse, weil er osmanisch-kapitalistisch zu viele Autobahnen baue.
Islamismus tangiert den Tschemm nicht.
Stimmt.