Erziehung im deutschen Strafrecht. Antwort an Herr Horst.

Vorwort
Im Zuge meines Kommentars zum Fall Breno entstand eine längere Diskussion zum Thema Erziehung im deutschen Strafrecht mit Peter, Krokodil und Christoph Horst. Da der Thread langsam unübersichtlich wird, veröffentliche ich meine Antwort an Herr Horst in einem neuen Artikel. Wer den Artikel lesen will, aber nicht nachvollziehen kann, worum es geht, findet hier den alten Artikel. Wer weiter diskutieren will, sollte das bitte ab jetzt hier im neuen Artikel tun, vielleicht wird so die Lesbarkeit wieder erhöht.


 
Antwort an Herr Horst
Erstens danke Ich Ihnen, dass Sie uns hier so detaillierte Einblicke in die deutschen Gesetze geben. Sie haben zwar meiner Erinnerung nach noch nicht herausgelassen, was Sie mit der Justiz zu tun haben. Aber es weist doch vieles darauf hin, dass Sie Jurist sind.

Zweitens finde ich es nicht in Ordnung, dass Sie hier wiederholt behaupten andere Kommentatoren oder ich wollten nicht diskutieren. Das ist ein Vorwurf, den ich für verfehlt halte. Dass wir diskutieren wollen, sehen Sie schon daran, dass wir Ihre Beiträge lesen und Ihnen antworten. Dass Sie sich durch einige unserer Antwort provoziert fühlen, mag sein. Da müssen Sie jetzt durch, uns geht es ja mit Teilen ihrer Ausführungen nicht anders. Gegenseitiges Verständnis ist hier angebracht, beleidigt sollte man nicht sein.

Drittens hat Krokodil auch schon klar benannt, dass Sie sich extrem hinter dem „Erziehungsgedanken“ des deutschen Jugendstrafrechts verschanzen. Darüber wollen Sie diskutieren und über den Sinn von Strafen allgemein. Von meiner Seite aus gerne. Ich lege mal kurz meine Position dar:

Erziehung als wichtiges Prinzip
Erziehung ist ein wichtiges, wesentliches Prinzip in Anstalten aller Art. Das ist nichts Neues, das sehe ich als No-Brainer an. Das ist amerikanischen Bundesstaaten nicht anders. Den zweiten Sinn von Gefängnis sehe ich darin, dass gefährliche Täter für die Zeit ihres Aufenthaltes keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit darstellen. Wir Ärzte sprechen hier von Sekundärprävention. Als dritten Sinn von Strafe sehe ich noch die Sühne. Es ist für Opfer psychologisch unglaublich wichtig, dass Täter bestraft werden. Ich spreche hier erstens als Arzt und zweitens aus eigener Erfahrung.

So nun in der Kürze der Zeit wieder zurück auf eines ihrer Argumente, dass mir und anderen besonders stark als Trick vorkommt: Das angesprochene Verschanzen hinter der „Erziehung“. Es ist wichtig, dass Sie den Punkt „Erziehung“ so benutzen wie Sie ihn benutzen, denn deutsche Richter scheinen diesen Trick im Allgemeinen auch sehr gerne zu anzuwenden.

Erziehungsgedanke als Ausrede keine Erziehung durchzuführen
Gehen wir konkret auf den 20-Cent-Fall ein. Orkun bekommt seine Bewährungsstrafe. Wo ist da die Erziehung, frage ich mich als Arzt. Das ist eben keine erzieherische Maßnahme. Es ist die Einladung für weitere Straftaten. Es ist die ganz klare Botschaft: „Orkun, du kannst einen Menschen totschlagen, wir geben Dir dafür Bewährung und ein Sozialtraining!“

Der Trick von Ihnen und den Richtern besteht also unter anderem darin, dass Sie eine Gefängnisstrafe negieren und dies immer mit dem „Erziehungsgedanken“ begründen. Genau so wird positive Erziehung verhindert. Die „Erziehung“ besteht dann fatalerweise in der Konditionierung des Täters, dass sein Handeln keine ernsten Folgen hat. Das ist das Gegenteil von positiver Erziehung, das ist ein Zuchtprogramm für Gewaltverbrecher.

Spezialanstalten als Teil der Lösung
Der weitere Teil des Tricks besteht im Schlechtmachen des Gefängnisses. Dazu muss man wissen, dass deutsche Jugendgefängnisse den Erziehungsgedanken natürlich verinnerlicht haben. Das Gesetz schreibt genau das schließlich vor. Es ist also gerade aufgrund des Erziehungsgedanken notwendig, dass Orkun ins Gefängnis kommt. Alles was Orkun in seiner Abendschule und seinen sozialen Training an Zuwendung bekommt, bieten ihm deutsche Jugendgefängnisse auch noch einmal in verstärkter Form an. Mit Berufsausbildung, Sozialtraining und so weiter. Das ist Eliteförderung und aus Kieselsteinen Diamanten machen, wie es sich doch eigentlich jeder Gutmensch von Herzen erträumt.

Deutsche Jugendgefängnisse sind also geradezu ein Paradies um ihrem Erziehungsgedanken zu frönen. Und wenn sie es noch nicht sind, müssen sie es eben werden. Einige amerikanische Anstalten können hier als Vorbild dienen. Auch das Berhan in eben eines dieser Erziehungsparadiese darf, für Orkun eine ebensolche Anstalt aber ganz furchtbar schlecht sein soll, verdeutlicht noch einmal, warum wir ihre Argumentation und die Argumentation der Richter als so extrem heuchlerisch empfinden.

Und wenn deutsche Jugendgefängnisse nicht ausreichend erziehen können, gab es auch schon deutsche Richter, die besondere Fälle nach Amerika in Spezialanstalten outsourcen. Das ist alles nur eine Frage des Willens. Einige Richter im 20-Cent-Fall wollten einfach nicht. Die Begründung dafür ist nicht nachvollziehbar.

Nachtrag
Leser DreF hat mich auf die Sendung Markus Lanz vom 25. April 2012 aufmerksam gemacht. Der deutsch-palästinensische Streetworker Fadi Saad plaudert im verlinkten Teil aus dem Nähkästchen. Alles was man sich jetzt ausmalt, wird geliefert. Auch Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger ist zugegen. Um ihre Ausführungen erträglich zu machen, empfehle ich allerdings die vorherige Aufnahme von Alkohol, Antidepressiva, Opiaten und THC. Am besten in Kombination und in tödlicher Dosis.

5 Gedanken zu „Erziehung im deutschen Strafrecht. Antwort an Herr Horst.

  1. Ich glaube, hier gibt es etwas klarzustellen.

    Zunächst einmal: Ich habe mich durch nichts beleidigt oder provoziert gefühlt. Wenn dieser Eindruck entstanden ist, dann tut es mir leid. Meine Hinweise auf Diskussionsverweigerung bezogen sich nur auf einzelne (ich glaube, es waren zwei) Sätze, nicht auf die Gesamtsituation.

    Außerdem habe ich an keiner Stelle behauptet, dass die besprochenen Urteile unter allen Umständen richtig sind. Ich weiß einfach zu wenig darüber. Vielmehr habe ich versucht zu zeigen, dass und warum sie durchaus richtig sein können. Außerdem hat mich die Verallgemeinerung gestört: Ein Urteil gefällt mir nicht – die Juristen sind alle gaga. Dass daraus so etwas wie eine Grundsatzdiskussion werden würde, habe ich nicht erwartet. Aber es war (und ist) sehr anregend, einmal juristische Dinge mit Nichtjuristen zu diskutieren. Die Juristen sind nämlich sowieso alle gaga.

    In der Diskussion kam wiederholt die Behauptung zur Sprache, dass Recht mit Gerechtigkeit nichts zu tun habe. Ich halte diese Behauptung für ebenso richtig wie trivial – und wichtig. Das Recht kann die Gerechtigkeit niemals abbilden, aus einem einfachen Grund: Die Gerechtigkeit im absoluten Sinn gibt es nicht, jedenfalls kennen wir sie nicht. Die Gesetze werden von Menschen gemacht, nicht von Göttern. In demokratischen Staaten wird das anerkannt, weshalb ständig darüber gestritten wird, auch und gerade unter Juristen. Eine der häufigsten Abkürzungen in der Fachliteratur betrifft den Hinweis auf „a.A.“ – andere Ansicht.

    In Ländern wie dem Iran dagegen wird dreist behauptet, es sei Allahs Wille, dass eine Ehebrecherin gesteinigt wird. Da gibt es keine a.A.

    Ich glaube auch, dass es Gesetze geben muss (klar, ich bin ja Jurist). Sonst hätten wir die von den Radikalliberalen geforderte „natürliche Ordnung“, die aber meiner Meinung nach eher früher als später in das Reich des KZ-Kommandanten aus Schindlers Liste münden würde:

    „We were on the roof on Monday, young Lisiek and I and we saw the Herr Kommandant come out of the house on the patio right there below us and he drew his gun and shot a woman who was passing by. Just a woman with a bundle, just shot her through the throat. She was just a woman on her way somewhere, she was no faster or slower or fatter or thinner than anyone else and I couldn’t guess what had she done. The more you see of the Herr Kommandant the more you see there are no set rules you can live by, you cannot say to yourself, ‚If I follow these rules, I will be safe.‘ “

    An die bestehenden Gesetze muss man sich natürlich halten. Und zwar alle, auch die Richter. Das bedeutet: Im Gerichtssaal herrscht das Gesetz. Der Richter darf weder das, was er für den gesunden Menschenverstand hält, noch seine Gefühle an die Stelle des Gesetzes oder darüber stellen. Sein Urteil wäre sonst die reine Willkür – es gäbe dann eben „no set rules you can live by.“ Der Jugendrichter muss also den vielzitierten Erziehungsgedanken berücksichtigen, das steht nun mal im Gesetz.

    Damit wäre ich endlich beim Thema – Erziehung im deutschen Strafrecht. Genauer müsste es heißen: im deutschen Jugendstrafrecht, nur dort spielt Erziehung diese dominante Rolle.

    Ihre Ausführungen zu der Frage, wo eigentlich besser erzogen werden kann, in Freiheit oder im Knast, finde ich sehr interessant. Ich muss mir das aber erst durch den Kopf gehen lassen; mit Jugendstrafrecht habe ich nämlich als Jurist in der Privatwirtschaft normalerweise herzlich wenig zu tun. (Jetzt ist’s raus.) Mir ging es auch – s.o. – um grundsätzlichere Dinge. Ich glaube allerdings, dass immer noch der Satz gilt: Das Gefängnis macht keinen besser, auch wenn es sich um eine deutsche Jugendstrafanstalt handelt. Na ja, wenn ich mir vorstelle, welches Heer von Soziologen, Sozialarbeitern, Psychologen und sonstigen Wohlmeinenden dort auf die armen Schweine wartet…

    Dass deutsche Jugendstrafrichter den Erziehungsaspekt in großem Stil als „Trick“ anwenden, um möglichst viele jugendliche Straftäter, die eigentlich eingesperrt gehören, laufen lassen zu können, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Die Urteile, um die es hier ging, bieten für diesen Generalverdacht nach meiner Auffassung keine konkreten Anhaltspunkte. Und ich selbst denke erst recht nicht so hinterhältig, das bitte ich mir einfach zu glauben. Jetzt ist mir aber klar geworden, warum Sie sich so aufregen.

    Ihren Ausführungen zu den Strafzwecken kann ich im Großen und Ganzen ebenfalls beipflichten. Den Aspekt der Genugtuung für das Opfer bzw. der Angehörigen würde ich allerdings nicht als „Sühne“ bezeichnen – Sühne oder Vergeltung ist eher der metaphyische und damit abzulehnende Gedanke, dass das Unrecht durch die Strafe wieder aufgehoben wird.

    • Da ich einer derjenigen bin, denen Sie die Diskussionsverweigerung vorwerfen: Ich vermute langsam, dass Sie unter Diskussion (zumindest mit einem Nichtjuristen) ein nicht mit Widersprüchen zu belästigendes Dozieren halten. Wir sind ja immer noch nicht einen Zentimeter weiter mit der Beantwortung einer der hier zu klärenden Grundsatzfragen, ob Recht nun Gerechtigkeit etwas miteinander zu tun haben. Vielleicht sind Sie ja so frei, und beschäftigen sich erstmal mit der reinen Semantik.
      Danach verstehen Sie vielleicht, warum ich diese Begriffe nicht, wie von Ihnen gefordert, getrennt betrachten werde.

      „In der Diskussion kam wiederholt die Behauptung zur Sprache, dass Recht mit Gerechtigkeit nichts zu tun habe. Ich halte diese Behauptung für ebenso richtig wie trivial – und wichtig. Das Recht kann die Gerechtigkeit niemals abbilden, aus einem einfachen Grund: Die Gerechtigkeit im absoluten Sinn gibt es nicht, jedenfalls kennen wir sie nicht. Die Gesetze werden von Menschen gemacht, nicht von Göttern. In demokratischen Staaten wird das anerkannt, weshalb ständig darüber gestritten wird, auch und gerade unter Juristen. Eine der häufigsten Abkürzungen in der Fachliteratur betrifft den Hinweis auf “a.A.” – andere Ansicht.“

      Was um Gottes Willen haben Sie sich denn dabei gedacht. Warum sträuben Sie sich gegen den Gedanken, dass Recht nur dann Recht ist, wenn es eben gerecht ist. Sie begründen Ihre Meinung damit, dass es keine absolute Gerechtigkeit gibt.
      Das wiederum hat ja auch niemand behauptet. Nur Ihr Schluß, deshalb den Aspekt der Gerechtigkeit vernachlässigen zu können, ist für Sie vielleicht eine einfache Lösung, um Rechtsprechung als rein formalen Akt verstehen zu können. Dieses Problem habe ich nicht.
      Natürlich sind Gesetze von Menschen gemacht, und genau so natürlich sind sie nicht perfekt, manchmal auch genau deshalb (weil sie von Menschen gemacht sind). Natürlich ist es gut, dass in demokratischen Staaten über das recht bzw die Gesetze gestritten wird. Die Tatsache, dass es dabei um die Suche nach Möglichkeiten geht, mit Hilfe der Gesetze / des Rechts Situationen zu schaffen, welche mir oder der durch mich vertretetnen Personen / Personengruppen Vorteile zu verschaffen, ist dabei zwar der entscheidende Nachteil, nach allem Anschein allerdings genau das Wesen einer Rechtsprechung wie Sie sie, bewußt oder unbewußt, als einzige Wahrheit anerkennen. Wenn genau diese Motivation durch die der Suche nach einer für alle gerechten Lösung (weisen Sie mich nicht darauf hin, dass man es niemals allen recht machen kann, dies ist weder hier gemeint noch ansonsten im entferntesten erreichbar) ersetzt wird, dann ist auch Ihr Dilemma gelöst.

      „Das Gefängnis macht keinen besser, auch wenn es sich um eine deutsche Jugendstrafanstalt handelt. Na ja, wenn ich mir vorstelle, welches Heer von Soziologen, Sozialarbeitern, Psychologen und sonstigen Wohlmeinenden dort auf die armen Schweine wartet… “

      Volle Zustimmung, wenn man es oberflächlich betrachtet.
      Denn: Gefängnisse sollen niemanden „besser“ machen, sie sollen als Strafe empfunden werden. Strafe für Leute, die Grenzen überschritten haben. Das büssen diese nun mit dem Verlust der Freiheit. Wo diese Grenzen liegen, wird im allgemeinen mithilfe dessen definiert, was als Grundwerte einer Gesellschaft sich in deren Rechtsprechung wiederspiegelt (bzw wiederspiegeln sollte). Mit guten Worten (jeder hätte die Gesetze lesen können) hat sich der inmate ja nicht abhalten lassen. Nun sitzt er halt. Vielleicht hilft das ja. Viele Menschen entwickeln sich bereits zum positiven, wenn sie zu einem strukturierten Tagesablauf gezwungen werden, und eben nicht die Möglichkeit haben, nach Drogenkonsum welcher Art auch immer früh um drei Uhr an der Bushaltestelle, die nächte Kartoffel auf dem Weg zur Frühschicht, ins Krankenhaus zu treten.
      Ihre Antwort war ja, es fehlen bestimmt nur noch ein paar gute Worte.
      Die von Ihnen angesprochenen Sozi- Psycho- und sonstigen -logen sind schon wieder ein anderer Schnack. Sie sind, gerade in solchen Einrichtungen, Teil des Grundübels. Gefühlte 90% der Psychologen welche ich kenne, haben diesen Beruf aus Gründen der verzweifelten Suche nach Selbstrettung ergriffen. Denen kann man nicht helfen, und sie selbst wiederum niemandem. Der traurige Rest ist an Programme gebunden, die schon fast dazu taugen, “ die armen Schweine “ als die wahren Opfer wahrzunehmen. Das ist und bleibt allerdings falsch.

      „Dass deutsche Jugendstrafrichter den Erziehungsaspekt in großem Stil als “Trick” anwenden, um möglichst viele jugendliche Straftäter, die eigentlich eingesperrt gehören, laufen lassen zu können,…“
      Nein, dieser „Trick“ dient dazu, politisch gewollte Kontroversen zu erzeugen, um von größeren Problemen abzulenken. (Ansonsten kann der Richter ja nur gekauft oder verrückt sein, aber das wollen wir hoffentlich erstmal nicht annehmen bzw dies als Ausnahme ansehen.) Ob den entsprechenden Richtern dies bewußt ist, oder diese sich nur an Weisungen halten, spielt nur eine nebensächliche Rolle.

      „Ihren Ausführungen zu den Strafzwecken kann ich im Großen und Ganzen ebenfalls beipflichten.“
      Erst ist das Gefängnis „nicht hilfreich“ und jetzt erwänen Sie Strafzwecke? Ohne Strafe? Wie meinen Sie das?

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