Man muss sich nur mal diesen Stimmzettel durchlesen und sich dann ein wichtiges Versprechen der Grünen in Erinnerung rufen: Bürgernähe und Transparenz!
Kann man eigentlich eine Abstimmungsfrage noch komplizierter und unfairer gestalten?! Die Fragestellung erinnert mich stark an Formulierungen wie: Sind sie vielleicht dafür dagegen, dass S21 vielleicht eventuell nicht gebaut wird, dann stimmen sie jetzt bitte mit Ja, damit ihr Nein gewertet wird. Verstanden?
Juristisch sei das anders nicht möglich gewesen sagen die Grünen. Die Grünen wollen Deutschland mit einer grünen Verfassung beglücken, bekommen aber offensichtlich nicht einmal einfachste Abstimmungen verständlich formuliert. Man sollte nicht davon ausgehen, dass die Grünen ihren Verfassungsentwurf einer Volksabstimmung unterziehen. Volksabstimmungen scheint es in Deutschland nur über belanglose Dinge wie Bahnhöfe zu geben. Dafür lebt der Deutsche. Gegen die verfehlte Europa- und Finanzkrisenpolitik aller deutschen Parteien geht niemand auf die Straße, aber in Stuttgart marschieren Tausende von grenzdebilen Rentnern auf, weil ein Bahnhof modernisiert werden soll.
Ich kann die Rentner ja schon ein bisschen verstehen, die haben nichts mehr von diesem neuen Bahnhof außer Baulärm und die vielen Immobilienbesitzer unter den Demonstranten fürchten nichts mehr als das neue teure Wohngebiet in bester Lage. Bisher kann man sich mit den extrem hohen Stuttgarter Immobilienpreisen und Mieten eine goldene Nase verdienen. Das soll auch so bleiben. Jeder neue Wohnraum schadet da nur dem Geschäft. Andere Gegner finden den Bahnhof einfach zu teuer, wieder andere behaupten die Gleisanlagen seien ein ökologisches Paradies und eine dritte Gruppe ist einfach prinzipiell technik- und fortschrittsfeindlich. Der weltbekannte deutsche Industrielle Stihl bringt die Ausgangslage im manager magazin treffend auf den Punkt:
Ja, mich hat schon gewundert, mit welchem leidenschaftlichen Engagement die Gegner von Stuttgart 21 aufgetreten sind, wie militant sie geworden sind und wie wenig beeinflussbar durch seriöse Informationen. Wir haben eine Vielzahl von positiven Argumenten, die für dieses neue Projekt sprechen, die werden auch vom grünen Teil der Landesregierung schlicht und einfach negiert.
Stuttgart 21 ist mittlerweile eine win-win-Situation für alle Oppositionellen geworden: Wenn die Grünen heute die Abstimmung verlieren, müssen sie einen Bahnhof bauen gegen den sie mit allen Mitteln gekämpft haben. Wenn die Grünen heute gewinnen, müssen sie unterschriebene Verträge brechen, die schon mehrere Dutzend demokratische Verfahren hinter sich haben.
Eine weitere positive Folge könnte schon jetzt sein, dass Volksabstimmungen in Deutschland in Zukunft zumindest ein bisschen wahrscheinlicher werden. Die Grünen haben sich sehr weit aus dem Fenster gelehnt. Es ist wird in Zukunft schwer werden zu vermitteln, warum man über einen dummen Bahnhof abstimmen darf, über andere weit wichtigere Themen aber nicht.
Seit ihrer Gründung vor ca. 30 Jahren singt diese deutsche Partei nun schon das hohe Lied der direkten Demokratie. In der Realität haben die Grünen allerdings nie konkrete Maßnahmen in diese Richtung unternommen. Warum sollte man das Volk befragen, wenn man selbst regiert?! Das ist bis heute die gelebte Praxis. Auch diese Volksabstimmung gibt es nur, weil die Grünen in der Regierung bisher eben nicht ihren Kopf durchsetzen können. Nur deshalb wird jetzt nach dem Volk gerufen. Es soll den Grünen aus der Patsche helfen, nachdem alle anderen Tricks gescheitert sind.
Noch am Abend der Landtagswahl hatte Wahlsieger Winfried Kretschmann raffiniert erklärt, man wolle eine Volksabstimmung organisieren, „es sei denn man einige sich in der Sache vorher“ – will heißen mit SPD und Bahn auf eine Beendigung des Projektes! Die Hinterzimmer werden immer dann interessant, wenn man selbst regiert.
Erst vor ein paar Monaten in Hamburg haben sich die Grünen mit aller Macht gegen eine Volksabstimmung zu ihrer Schulreform gewehrt. Gegen den erbitterten Widerstand der regierenden Grünen haben engagierte Bürger viele hundert Stimmen gesammelt und so einen Volksentscheid durchgesetzt. Die grün-schwarze „Reform“ wurde deutlich abgelehnt. Daraufhin hat der Vorsitzende der Grünen Özdemir umgehend festgestellt, dass die ganze Abstimmung im Grunde ungerecht verlaufen sei.
So läuft das immer bei den Grünen. Die Grünen sind schlechte Verlierer. Sie sind nur für Volksabstimmungen, wenn sie sich daraus einen Vorteil versprechen.
Wenn man verliert, definiert man einfach die Spielregeln neu. Die FR von damals ist nur ein Beispiel von vielen: Die Volksabstimmung in Hamburg habe eine „destruktive Kraft“ entfaltet und Gräben erweitert. Das sei unerfreulich, aber keine Gefahr. Denn worüber auch immer gestritten werde, der Boden des deutschen Grundgesetzes dürfe nicht verlassen werden.
Nur was ist der „Boden“ eures Grundgesetzes und was nicht?! Auch das entscheiden praktischerweise die Grünen. Als Begründung zum Durchdrücken der Einheitsschule in Baden-Württemberg meinte zum Beispiel Herr Kretschmann der Bildungserfolg sei stark abhängig von der sozialen Herkunft und das sei gegen die Landesverfassung! Die Einführung der Einheitsschule ist also kein politisches Konzept mehr über das demokratisch zu diskutieren ist, sondern alternativlose Verfasssungspflicht! So machen es die Grünen mit vielen ihrer Themen. Als Beispiele seien hier die „Rettung“ des Weltklimas oder die „Rettung“ des Euros genannt. Ein Vorgehen das alle anderen deutschen Parteien übernommen haben. Es gilt das TINA-Prinzip: There’s no alternative. Friss oder stirb.
Eine zweite FR-Kommentatorin schlug damals in eine ähnliche Kerbe. Volksabstimmungen und Proteste seien nur dann zu begrüßen, wenn sie „dem Gemeinwohl“ verpflichtet sind:
Doch nicht jeder Protest fühlt sich dem Gemeinwohl verpflichtet. Das zeigt der Bürgerentscheid gegen die Schulreform in Hamburg, bei dem sich Gutsituierte für die Bildungschancen ihres eigenen Nachwuchses engagierten. Es kommt darauf an, zwischen solchen Klientel-Protesten und Bewegungen, die sich für das Wohl aller einsetzen, zu unterscheiden.
Was das Gemeinwohl ist und was nicht, entscheiden praktischerweise auch die Grünen. Verkürzt gesagt sind alle Konzepte der Grünen „Gemeinwohl“, während die Konzepte ihrer Gegner natürlich in der Kategorie neoliberaler, umweltzerstörender Raubtierkapitalismus zu verbuchen sind. Wie praktisch.
Ein paar Wochen später haben die Grünen dann die schwarz-grüne Regierung aus wahltaktischen Gründen platzen lassen. Ganz offensichtlich wollte man vom eigenen Umfragehoch profitieren. Die Hamburger haben allerdings dieses machttaktische Spiel durchschaut und der SPD die absolute Mehrheit verschafft. Die Grünen und die CDU wurden hingeschickt, wo sie hingehören: In die Wüste. Dumm nur, dass in Deutschland immer entweder SED, Grüne, SPD, FDP oder CDU regieren müssen, weil es eben keine Alternativen gibt. Dieses Problem haben sich die Deutschen allerdings selbst zuzuschreiben.
Update:
Die Grünen haben die Wahl verloren. Die Show fängt jetzt erst richtig an. Die Grünen werden zwar vordergründig die Abstimmung akzeptieren, im Hintergrund setzen sie aber weiter alles daran, dass S21 scheitert. Den nächsten Anlauf werden sie über die angeblich zu hohe Kosten nehmen.
Die komplizierte Frage bei der Volksabstimmung zu S21 ergibt sich aus der Tatsache das hier ein verfassungsgemäßer Weg gesucht wurde.
Das Volk ist dazu aufgerufen über ein Gesetz abzustimmen das im Landtag gescheitert ist.
Deswegen die Frage ob man dem Ausstiegsgesetz zustimmt oder nicht.
Das Ausstiegsgesetz regelt auch nur die finanzielle Beteiligung des Landes – wenn die Bahn trotz Ausstieg des Landes entscheidet weiter zu bauen bedeutet eine Zustimmung zum Ausstiegsgesetz nicht mal das Ende von S21
Über den Bau von S21 kann der Stuttgarter Landtag nicht abstimmen, da die Bahn das Baurecht erteilt worden ist.
Auch wenn manche Befürworter der Volksabstimmung sich auf dem Standpunkt stellen:
„Wenn die Mehrheit des Volks das will kann es gar nicht gegen die Verfassung verstoßen“
Wobei ich bezweifle, das jene Befürworter dieses Argument gelten lassen würden, wenn es um ein Minarettverbot geht…
Mir ist der Hintergrund der Frage durchaus bekannt, trotzdem hätte man das viel klarer gestalten können. Die Art der Fragestellung ist aus meiner Sicht ein Beleg für die Inkompetenz und Dreistigkeit der Grünen. Die Ja-Nein-Konstellation wurde zum Beispiel aus vollem Bewusstsein so gewählt, weil die Grünen nicht mehr als Nein-Sager gelten wollen. Damit wurde auch ganz offensiv Werbung gemacht. Motto: „Wir sind die Ja-Sager“. Wer ein Projekt verhindern bzw. zerstören will, kann sich nicht mit solchen Taschenspieler-Tricks zum Ja-Sager stilisieren. Das ist Heuchelei. Die Grünen sind Nein-Sager. Verbotsapostel. Im Grunde sind sie erzkonservative Spießer. Spinner noch dazu. Die Grünen sind so technik- und fortschrittsfeindlich, dass die GOP oder die CDU dagegen aussehen wie eine Partei der Moderne. Für Deutschland wäre es wichtig, dass die bei den Medien so beliebten Grünen wieder an Boden verlieren.